Maigret und die Unbekannte
irgend jemand hereingelegt zu werden.«
Was dann kam, variierte, war aber im Entscheidenden immer das gleiche. Eine sehr reiche alte Dame, meistens eine Amerikanerin, wenn er sich gerade in Europa befand, behauptete er, habe ihm eine bedeutende Summe übergeben, die an eine Anzahl verdienstvoller Persönlichkeiten verteilt werden solle. Er habe das Geld in Scheinen oben in seinem Zimmer, aber wie solle er in einem Lande, das er nicht kenne, diese verdienstvollen Persönlichkeiten herausfinden?
»Übrigens, die alte Dame hat bestimmt, daß ein Teil der Summe, ein Drittel oder ein Viertel, zur Deckung der Kosten ausgegeben werden kann.«
»Ob sein neuer Freund – denn es war natürlich ein Freund –, der ein anständiger Mensch sei, ihm nicht vielleicht dabei helfen wolle? Natürlich werde er das Drittel mit ihm teilen. Es sei ein ganz hübscher Batzen.
Selbstverständlich müsse er vorsichtig sein und sei gezwungen, gewisse Garantien zu fordern. Sein Freund solle eine bestimmte Summe auf einer Bank hinterlegen, um damit zu beweisen, daß er es redlich meine.«
»Warten Sie einen Augenblick auf mich… Oder besser, kommen Sie mit mir in mein Appartement hinauf…«
Die Banknoten waren auch wirklich vorhanden, eine ganze Aktentasche voll dicker Bündel.
»Wir nehmen sie mit und gehen bei Ihrer Bank vorbei, wo Sie die Summe abheben.«
Diese variierte je nach dem Lande.
»Wir zahlen sie dann auf mein Konto ein, während ich Ihnen die Aktentasche gebe, deren Inhalt Sie, nach Entnahme Ihres Anteils, nur zu verteilen brauchen.«
Im Taxi lag die Aktentasche mit den Geldscheinen zwischen ihnen. Das Opfer hob sein Geld ab. Vor seiner eigenen Bank, für gewöhnlich einem großen Institut im Stadtzentrum, ließ Lemke, alias Donley, alias Ziegler usw. die Aktentasche in der Obhut seines Begleiters.
»Ich komme gleich wieder.«
Und schon stürzte er mit dem Gelde seines Opfers davon, das ihn nie wiedersah und bald die traurige Entdeckung machen mußte, daß die Notenbündel außer den Scheinen, die obenauf lagen, nur aus Zeitungspapier bestanden.
Wenn der Mann verhaftet wurde, hatte er meistens nichts Kompromittierendes in seinem Besitz. Das erbeutete Geld war verschwunden. Der Komplice, dem er es in dem vollen Schalterraum zugesteckt hatte, hatte es mitgenommen.
In einer Akte, einer einzigen, die die dänische Polizei geschickt hatte, stand noch:
»Nach Informationen, die wir aber nicht nachprüfen konnten, handelt es sich bei dem Täter um einen holländischen Staatsangehörigen namens Julius van Cram, geboren in Groningen. Van Cram, der aus guter Familie stammt, hat als Zweiundzwanzigjähriger in einer Amsterdamer Bank gearbeitet, in der sein Vater Prokurist war. Er sprach damals schon mehrere Sprachen, hatte eine ausgezeichnete Erziehung erhalten und war Mitglied des Jachtklubs von Amsterdam. Zwei Jahre später ist er verschwunden, und ein paar Wochen danach hat man entdeckt, daß er auf der Bank eine größere Geldsumme unterschlagen hatte.«
Unglücklicherweise hatte man sich kein Foto von van Cram beschaffen können und besaß auch nicht seine Fingerabdrücke.
Beim Vergleich der Daten machte Maigret eine weitere interessante Entdeckung. Wie die meisten Verbrecher und Schwindler verübte der Mann seine Betrügereien selten kurz hintereinander. Wochen-, ja manchmal monatelang bereitete er seinen Coup vor, bei dem es immer um eine bedeutende Summe ging. Danach dauerte es stets mehrere Jahre, bis man ihn an einem anderen Ende der Welt wiederfand, wo er mit der gleichen Geschicklichkeit und der gleichen Perfektion in allen Einzelheiten sein übles Handwerk von neuem trieb.
Deutete das nicht darauf hin, daß er mit einem neuen Coup immer so lange wartete, bis seine Geldmittel erschöpft waren? Hob er sich einen Notgroschen auf? Hatte er irgendwo eine Summe versteckt?
Seinen letzten Betrug hatte er vor sechs Jahren in Mexiko verübt.
»Komm doch mal bitte eben zu mir, Lucas.«
Überrascht sah Lucas den bis an den Rand mit Akten bedeckten Schreibtisch.
»Ich möchte, daß du eine Reihe von Telegrammen aufgibst. Vorher aber schickst du jemand zu der Witwe Cremieux in der Rue de Clichy. Er soll feststellen, ob dieser Mann der ist, dessen Foto sie in der Handtasche ihrer Untermieterin gesehen hat.«
Er gab ihm die Liste der Länder, in denen der Mann gearbeitet hatte, mit den Namen, unter denen er dort bekannt gewesen war.
»Und rufe dann auch Feret in Nizza an. Er soll noch einmal zu Madame Laboine gehen und
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