Maigret und die Unbekannte
kompliziert.«
Es war übrigens seltsam: Bisher hatte er nicht an den Mörder gedacht, sondern an das Opfer, und allein auf die Tote hatte sich die ganze Untersuchung konzentriert. Aber nun, da man endlich etwas mehr von ihr wußte, mußte man sich fragen, wer sie ermordet hatte.
Was mochte Lognon wohl tun? Maigret blickte aus dem Fenster. Es war Vollmond, und der Himmel war klar. Es regnete nicht mehr, und die Dächer glänzten.
Er klopfte seine Pfeife aus und legte sich wieder schlafen, küßte seine Frau und sagte zu ihr:
»Weck mich zur gewohnten Zeit.«
Diesmal schlief er traumlos.
Als er im Bett sitzend seinen Kaffee trank, schien die Sonne herein. Lognon hatte nicht angerufen, woraus man schließen konnte, daß er nicht in sein Büro gekommen und auch nicht nach Hause gegangen war.
Am Quai des Orfevres wohnte er dem Rapport bei, ohne sich an der Unterhaltung zu beteiligen, und stieg gleich danach zum Erkennungsdienst hinauf.
Dort standen in einem Regal neben dem anderen die Akten all jener Personen aufgereiht, die einmal straffällig geworden waren. Der Beamte trug einen grauen Kittel, in dem er aussah wie ein Magazinverwalter, und er roch nach altem Papier wie in einer öffentlichen Bibliothek.
»Sieh doch bitte einmal nach, ob du eine Akte über einen van Cram, Julius van Cram, da hast.«
»Ist das ein neuer Fall?«
»Es kann zwanzig Jahre oder länger her sein.«
»Wollen Sie darauf warten?«
Maigret setzte sich. Zehn Minuten später brachte ihm der Beamte eine Akte van Cram, aber es handelte sich um einen Josef van Cram, einen Pariser Versicherungsangestellten aus der Rue de Grenelle, der vor zwei Jahren wegen Geldfälschung verurteilt worden und damals erst achtundzwanzig Jahre alt gewesen war.
»Ist das der einzige van Cram?«
»Es ist nur noch eine Akte von einem von Kramm, mit K und zwei m geschrieben, vorhanden, der aber schon vor vierundzwanzig Jahren in Köln gestorben ist.«
Unten gab es noch weitere Akten, die aber nicht nur verurteilte Personen betrafen, sondern all jene, mit denen sich die Polizei irgendwann einmal hatte befassen müssen. Auch unter ihnen fand man den Versicherungsangestellten van Cram und den Kölner von Kramm.
Als er die Kartei der internationalen Abenteurer studierte, wobei er all jene überging, die nicht im Nahen Osten gelebt hatten und deren Alter nicht dem des Mannes von Madame Laboine entsprach, stieß er schließlich auf eine Karte, auf der stand:
Hans Ziegler, alias Ernst Marek, alias John Donley, alias Joe Hogan, alias Jean Lemke (richtiger Name und Herkunft unbekannt), Spezialist für Betrügereien. Spricht fließend Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch und ein wenig Polnisch.
Vor dreißig Jahren hatte die Prager Polizei an die Polizei aller Länder das Foto eines Hans Ziegler geschickt, der mit Hilfe eines Komplicen sich auf betrügerische Weise eine bedeutende Summe verschafft hatte. Hans Ziegler behauptete, in München geboren zu sein, und trug damals einen blonden Schnurrbart.
Bald tauchte der Mann unter dem Namen John Donley, geboren in San Franzisko, in London auf, und in Kopenhagen hatte man ihn unter dem Namen Ernst Marek verhaftet.
Sein Aussehen änderte sich mit den Jahren ebenso. Anfangs war er ein großer, trotz seines starken Knochenbaus schlanker Mann. Allmählich setzte er dann Fett an und legte sich eine gewisse Würde zu.
Er kleidete sich sehr elegant und mit bestem Geschmack. In Paris hatte er in einem großen Hotel an den Champs-Elysées gewohnt, in London im Savoy, überall verkehrte er in den besten Restaurants, und überall bediente er sich der gleichen Methode, die schon lange vorher von anderen erprobt worden war, die er aber mit einem seltenen Geschick anzuwenden verstand.
Er arbeitete immer mit einem anderen zusammen. Von diesem Komplicen wußte man jedoch nichts, außer daß er jünger war und mit osteuropäischem Akzent sprach.
In einer eleganten Bar suchten sie sich ein Opfer aus, irgendeinen reichen Mann, mit Vorliebe einen Industriellen oder Kaufmann aus der Provinz.
Nachdem er mit dem auserkorenen Opfer ein paar Gläser getrunken hatte, jammerte John Donley, Jean Lemke, Joe Hogan oder wie er sich gerade nannte, darüber, daß er das Land nicht kenne.
»Ich muß unbedingt einen Mann finden, zu dem ich vollstes Vertrauen haben kann«, sagte er. »Man hat mich mit einer schwierigen Mission beauftragt, und ich weiß nicht, wie ich den Auftrag ausführen soll. Ich habe solche Angst, von
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