Maigret und Monsieur Charles
in der Rue de Rivoli zu arbeiten.
Schon als sie ihm über ihre Vergangenheit erzählt hatte, als sie ihm den Namen ihres angeblichen früheren Arbeitgebers genannt hatte, vor allem aber, als er erfahren hatte, dass dieser seit zehn Jahren tot war, war Maigret stutzig geworden.
Sie wusste, dass der Anwalt tot war, und dass es keinen gab, der sie hätte widerlegen können. Wahrscheinlich war sie nie Sekretärin, ja nicht einmal Stenotypistin gewesen.
»Guck mal, Lapointe... Woran erinnert dich das?«
Der Inspektor überlegte einen Augenblick.
»An eine Edelnutte...«
»Nun, wir wissen ja, wo sich der Herr Notar seine Gespielinnen holte...«
Behutsam schob Maigret das Foto in seine Brieftasche. Jetzt schloss er die Schubladen auf der linken Seite auf. Die obere enthielt unbenutzte Scheckhefte. Eines der Scheckhefte jedoch war aufgebraucht, und alle Talons trugen anstelle des Namens des Inhabers den Vermerk: an den Überbringer.
Dann gab es noch ein paar Kleinigkeiten: eine Armbanduhr, Manschettenknöpfe mit einem kleinen gelben Stein in der Mitte, Gummiringe, Briefmarken.
»Macht Ihnen das Spaß?«
Das war natürlich sie. Claire hatte sie aus dem Bett geholt. Sie hatte gerade einen kräftigen Schluck Cognac getrunken, denn sie roch auf drei Schritt Entfernung nach Alkohol.
»Guten Tag, Trika...«
Sie besaß genügend Selbstbeherrschung, um sich nichts anmerken zu lassen.
»Ich verstehe nicht...«
»Das macht überhaupt nichts... Lesen Sie das da...«
Er hielt ihr den Durchsuchungsbefehl hin, den sie zurückstieß.
»Ich weiß. Meine Zofe hat es mir gesagt. Fühlen Sie sich bitte ganz wie zu Hause. Möchten Sie nicht meinen Morgenrock durchsuchen?«
Ihre Augen waren nicht mehr die gleichen wie am Vortag. Sie drückten mehr als nur Unruhe aus: eine Angst, die sie kaum zu zügeln vermochte. Ihre Lippen zitterten mehr denn je, nicht anders als ihre Hände.
»Ich bin mit der Wohnung hier noch nicht fertig...«
»Stört Sie meine Gegenwart?... Ich hatte schon lange keine Gelegenheit mehr, diesen Teil des Hauses zu betreten ...«
Ohne sie weiter zu beachten, öffnete und schloss Maigret die Möbelstücke, öffnete die Schiebetür und ging in den Ankleideraum hinüber.
Er fand dort an die dreißig Anzüge vor, überwiegend in hellen Farbtönen. Sie trugen das Etikett eines der berühmtesten Schneider von Paris.
»Einen Hut trug Ihr Mann wohl nicht...«
»Da ich nie mit ihm zusammen ausging, weiß ich das nicht...«
»Großartig, Ihre Komödie vor den Journalisten gestern ...«
Trotz ihres Seelenzustandes konnte sie sich ein geschmeicheltes Lächeln nicht verkneifen.
Das Bett war breit und niedrig, das Zimmer mit den lederbespannten Wänden wirkte sehr männlich.
Man hätte meinen können, das Badezimmer sei erst vor einem Tag verlassen worden. Die Zahnbürste stand auf ihrem Platz in einem Glas, der Rasierapparat zusammen mit der Rasierseife und einem Alaunstein auf einer Konsole. Der Fußboden war aus weißem Marmor, ebenso wie die Wände und die Badewanne und das übrige Zubehör. Ein großes Fenster ging auf einen Garten, den Maigret zum erstenmal sah.
»Ist das Ihr Garten?« fragte er.
»Warum nicht?«
So schöne Bäume waren in einem Pariser Privatgarten selten zu finden.
»Nun, Trika, in welchem Nachtclub waren Sie denn Animierdame?«
»Ich kenne meine Rechte. Ich bin nicht verpflichtet, Ihnen zu antworten.«
»Dem Untersuchungsrichter werden Sie jedoch antworten müssen.«
»In diesem Fall wird mich mein Anwalt begleiten.«
»Haben Sie denn schon einen Anwalt?«
»Schon seit langem.«
»Den aus der Rue de Rivoli?« fragte er spöttisch.
Er war nicht absichtlich so hart mit ihr. Ihr ganzes Verhalten war dazu angetan, ihn auf die Palme zu bringen.
»Das geht nur mich etwas an.«
»Gehen wir also zu Ihnen hinüber...«
Im Vorbeigehen las er die Titel einiger Bücher auf den Regalen im Büro. Einige wenige moderne Autoren waren darunter, ausgewählt unter den Besten, eine Reihe davon in Englisch, das der Notar offenbar ausgezeichnet beherrschte.
Nachdem sie den großen und den kleinen Salon durchquert hatten, befanden sie sich im Boudoir von Nathalie, die stehenblieb und ihnen zusah. Maigret öffnete einige Schubladen, die nur Nichtigkeiten enthielten.
Er ging ins Schlafzimmer hinüber. Das Bett war so groß wie das von Sabin-Levesque, aber weiß, ebenso wie die anderen Möbel. Diese enthielten vor allem hochfeine, vermutlich maßgeschneiderte Wäsche.
Was das Badezimmer aus
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