Maigret und Monsieur Charles
Bedenken hatte, spätabends im Nachthemd unter dem Pelzmantel aus dem Haus zu gehen und eine Telefonzelle aufzusuchen.
»Was sagst du nun, Lapointe?« fragte der Kommissar beim Einsteigen.
»Wenn sie sich den Journalisten gegenüber genauso aufführt, dann kann sie sich morgen früh auf eine nette Presse gefasst machen...«
»Am Quai des Orfevres habe ich heute nichts mehr zu tun. Setz mich also zu Hause ab...«
Madame Maigret empfing ihn mit einem verschmitzten Lächeln.
»Zufrieden?«
»Warum sollte ich zufrieden sein?«
»Hast du nicht deine Leiche gefunden?«
»Hast du’s im Radio gehört?« »Ja, in den Sechs-Uhr-Nachrichten haben sie eine kurze Meldung darüber gebracht... Hast du Hunger?«
»Nein. Nicht nach dem Morgen, den ich hinter mir habe.«
Er ging zum Schrank und fragte sich, was er trinken sollte, denn sein Magen war aus dem Lot. Schließlich schenkte er sich ein Gläschen Gin ein. Das kam selten vor. Die Flasche stand seit über einem Jahr unberührt an ihrem Platz.
»Möchtest du auch?« fragte er.
»Nein, danke... Setz dich noch für ein paar Minuten und lies die Zeitungen, ich werde dir etwas Leichtes zubereiten ...«
Die Suppe war schon fertig. Danach brachte sie Salat mit Schinken und kalten Kartoffelwürfeln auf den Tisch.
»Du machst dir Sorgen, stimmt’s?« fragte sie leise, während sie aßen.
»Es gibt da Dinge, die ich nicht begreife, und das kann ich nicht leiden.«
»Mit wem arbeitest du zusammen?«
Ihr war bekannt, dass ihn immer einer seiner engeren Mitarbeiter begleitete. Mal war es Janvier, mal Lucas; dieser jedoch vertrat ihn zur Zeit, wenn er außer Haus war. Diesmal war er zufällig an Lapointe geraten.
»Soll ich den Fernseher anschalten?«
»Nein, ich bin zu faul zum Fernsehen.«
Er ließ sich in seinem Sessel nieder und sah weiter die Zeitungen durch, während er an etwas ganz anderes dachte, vor allem an Nathalie, die ihn gerade mit so vulgären Worten vor die Tür gesetzt hatte.
Um neun Uhr döste er schon, und seine Frau wollte ihn gerade wecken, damit er sich ins Bett legen konnte, als das Klingeln des Telefons ihr zuvorkam und den Kommissar hochschrecken ließ.
»Hallo, ja, ich bin’s... Sind Sie’s, Grenier? Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Zuerst eine Frage. Pflegte dieser Herr einen Hut zu tragen?«
Maigret ließ sich Zeit zum Überlegen.
»Ich habe ihn nie gesehen und bin nicht auf die Idee gekommen, seine Frau oder seine Angestellten zu diesem Punkt zu befragen... Warten Sie... Er kleidete sich geschmackvoll, sehr jugendlich... Ich stelle ihn mir eher barhäuptig vor...«
»Oder jemand hat ihm den Hut abgenommen, bevor er ihn auf den Kopf geschlagen hat... Es war nicht nur ein Schlag, sondern nach meiner Ansicht ein Dutzend mit großer Kraft geführter Schläge... Die Schädeldecke ist zerstückelt wie ein Puzzlespiel...«
»Keine Kugel?«
»Weder im Kopf noch sonstwo... Ich weiß nicht, welche Waffe benutzt worden ist: ein Hammer, ein Schraubenschlüssel oder ein Wagenheber... Wahrscheinlich ein Wagenheber... Zwei solcher Schläge hätten ausgereicht, ihn zu töten, aber der Mörder hat immer weiter auf ihn eingeschlagen...«
»Und diese Art Riss in Taillenhöhe?«
»Der ist jüngeren Datums. Die Leiche war schon in Verwesung übergegangen, als sie an einem Anker oder ähnlichem hängen geblieben ist... Ein Detail scheint mir noch interessant... An den Knöcheln waren tiefe Einschnitte, von einem Draht, glaube ich, so dass einer der Füße fast abgeschnitten war... An dem Draht muss ein schwerer Gegenstand befestigt gewesen sein, ein Backstein oder sonst irgendein Gewicht...« »Wie lange, schätzen Sie, hat er im Wasser gelegen?«
»Das lässt sich unmöglich genau feststellen... Mehrere Wochen...«
»Vier, fünf Wochen?«
»Möglich. Ach ja, die Kleider habe ich auch untersucht. In einer der Taschen habe ich einen Schlüsselbund gefunden... Den lasse ich Ihnen gleich morgen früh rüberbringen...«
»Ich werde ungeduldig darauf warten...«
»Lassen Sie ihn doch abholen... Sie haben mehr Leute als ich...«
»Einverstanden. Hinterlegen Sie ihn bei der Concierge.«
»Jetzt werde ich ein schönes heißes Bad nehmen und mir ein gutes Abendessen leisten. Solche Arbeit möchte ich nicht jeden Tag machen... Guten Abend, Maigret ...«
»Guten Abend, Grenier... danke...«
Am nächsten Tag war er um neun Uhr im Büro. Seine erste Sorge war, einen Inspektor loszuschicken, der im gerichtsmedizinischen Institut die Schlüssel abholen
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