Maigret verteidigt sich
bald fett geworden war, hatte die Mittel aufgetrieben, sich den ›Clou Doré‹ zu kaufen, damals nur eine jämmerliche Kneipe in der Art des ›Desiré‹, mit dem Unterschied nur, daß man dort vor allem Verbrecher traf.
Sie war bald in eine moderne Bar umgebaut worden, dann in ein Restaurant mit wenigen Tischen. Die Gäste waren jetzt keine jungen Strolche mehr, sondern kamen in schweren amerikanischen Wagen angefahren.
Maigret aß dort manchmal zu Mittag und blieb immer, bis der kleine in Rot und Gold eingerichtete Raum sich leerte.
»Sag mal, Manuel…«
»Ja, Herr Kommissar.«
»Der Mann, der eine Narbe unter dem Auge hat und der dort in der Ecke saß…«
»Wissen Sie, ich sehe die Gäste kommen und gehen, serviere ihnen das Essen und die Getränke, kassiere, und weiter weiß ich von ihnen nichts.«
Manuel war ein geborener Komödiant. Er spielte für sich ebenso Komödie wie für die anderen. Manchmal zwinkerte er, befriedigt über seine Rolle, seinen Zuhörern mit den Augen zu.
»Wir kennen uns nun schon lange, nicht wahr? Als wir uns kennenlernten, waren wir beide noch schlank und jung, Monsieur Maigret.«
»Und du hattest keinen Sou.«
»Ja, ich habe schwere Zeiten durchgemacht. Der Beweis dafür, daß ich mir nie etwas habe zuschulden kommen lassen…«
»Oder daß du schon damals zu schlau warst.«
»Halten Sie mich für schlau? Ich bin kaum zur Schule gegangen und kann nur mühsam die Zeitung lesen…«
»Manuel!«
»Ja?«
»Der Mann mit der Narbe…«
»Gut. Verstanden. Ich weiß nichts davon. Vor zwei Monaten hatte er die Narbe noch nicht. Vor zwei Monaten, also im März… Und im März…«
Im März war es zu einer Schlägerei zwischen zwei Banden in der Nähe des ›Pigalle‹ gekommen, bei der auch Schüsse gefallen waren. Ein Mann war tot auf dem Gehsteig liegengeblieben, und zwei Verletzte waren wie durch einen Zauber verschwunden.
Der ›Besen‹, der Tennis spielte und geschworen hatte, Paris zu säubern, liebte die Spitzel nicht. Und die alten Methoden waren ihm zuwider.
Und gerade zu einem Spitzel begab sich Maigret in dem von Janvier gesteuerten Wagen – zu Manuel, der vor drei Jahren, als er in der Morgendämmerung aus dem ›Clou Doré‹ gekommen war, um die Läden vorzuhängen, von einem halben Dutzend Kugeln aus einer Maschinenpistole in den Schenkel und den Bauch getroffen worden war.
Vom Krankenhaus, in das man ihn transportierte, hatte er sich bald in eine der besten Privatkliniken in Neuilly bringen lassen. Selbst die Ärzte waren davon überzeugt, daß er nicht mit dem Leben davonkommen würde.
Auch in Neuilly hatte Maigret ihn mehrmals aufgesucht.
»Sie machen mir Kummer, Herr Kommissar… Sehen Sie, euer einziger Fehler bei der Polizei ist, daß ihr nie den Leuten glaubt. Es müssen zwei Kerle in dem Auto gewesen sein, das ist sicher. Man kann nicht mit einer Maschinenpistole schießen und gleichzeitig das Auto steuern. Aber, Ehrenwort, ich habe sie nicht gesehen, aus dem einfachen Grunde, weil ich ihnen den Rücken zudrehte.
Wenn man einen Eisenladen vorhängt, dreht man der Straße den Rücken zu, nicht wahr?«
»So weit warst du noch gar nicht. Du hattest gerade erst die Tür aufgemacht.«
»Aber ich hatte mich schon dem Hause zugewandt. Denken Sie einmal nach, Sie, der Sie doch ein gebildeter Mann sind. Kerle versuchen, mich umzubringen… Wie man mir zu verstehen gibt, werde ich nie mehr auf meinen beiden Beinen gehen können. Ich werde den Rest meines Lebens in einem Rollstuhl verbringen…
Glauben Sie nicht, daß ich die Kerle, die mir das angetan haben, gern hinter Gittern sehen würde?«
Er hatte nicht ausgepackt. Maigret hatte es auch kaum anders erwartet. Einige Wochen später waren zwei junge Gauner in der Nähe von Toulon niedergeknallt worden, Gauner, die kurz nach der Schießerei Paris Hals über Kopf verlassen hatten.
»Diese Burschen, wissen Sie, Herr Kommissar, verschwinden immer wieder ohne ersichtlichen Grund. Wenn man alle zählen sollte, die plötzlich entdecken, daß die Pariser Luft ungesund ist…«
Das Auto fuhr die Champs-Elysées hinauf, dann um den Arc de Triomphe herum, durch die Avenue Mac-Mahon, von der man links in die Rue des Acacias einbog.
Es war ein elegantes, friedliches Viertel, in dem noch hier und dort zwischen zwei Mietshäusern eine kleine Villa mit nachgedunkelter Fassade stand.
»Soll ich mit hinaufgehen, Chef?«
»Nein. Such deinen Kollegen. Ich weiß nicht, wer heute Dienst tut.«
»Der dicke
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