Maigret verteidigt sich
Lourtie…«
»Du wirst ihn hier in der Nähe finden. Er wird dir sagen können, was Aline seit heute morgen gemacht hat.«
Aline war auch eine Persönlichkeit. Zur Zeit des ›Clou Doré‹ bediente sie dort Sie war damals ein mageres Mädchen mit wuscheligem, schwarzem Haar und glänzenden dunklen Augen. Man wußte, daß sie Manuels Geliebte war, der sie auf der Straße aufgelesen hatte.
In der Klinik hatte er erreicht, daß sie ein kleines Zimmer neben dem seinen bekam. Auf seine Anweisungen hin hatte sie einen Geschäftsführer für ›Clou Doré‹ engagiert und ging manchmal dorthin, um nach dem Rechten zu sehen sowie die Einnahmen zu überprüfen.
In drei Jahren war sie rundlich geworden. Sie war jetzt ordentlich frisiert, und in ihrer diskret eleganten Kleidung wirkte sie ganz wie eine Dame.
Das Haus war komfortabel, hatte einen Fahrstuhl und Mahagonitüren. Maigret drückte auf den Knopf des vierten Stocks und klingelte dann oben an der Tür links. Er mußte ziemlich lange warten, wobei er das leise Geräusch des Rollstuhls hinten in der Wohnung hörte.
»Wer ist da?« fragte Manuel durch die Tür.
»Maigret.«
»Schon wieder!« Die Tür öffnete sich.
»Treten Sie ein. Ich bin allein. Ich war gerade kurz vor dem Einschlafen, als Sie geklingelt haben.«
Manuel hatte jetzt seidiges weißes Haar, das seinem Gesicht eine gewisse Würde gab. Er trug ein makelloses weißes Hemd, eine seidene Hose und rote Pantoffeln.
»Ein Mann, der mich so lange kennt und dem ich so viele Dienste erwiesen habe… Nein, bleiben wir nicht im Salon. Ich frage mich übrigens immer, warum ich einen Salon habe. Denn der paßt nicht zu mir, und ich empfange niemanden…«
Er hatte sich seinen eigenen kleinen Winkel eingerichtet, ein winziges Zimmer, das auf die Straße ging. Dort befanden sich der Fernsehapparat, ein Plattenspieler, zwei oder drei Transistorgeräte verschiedener Größe, Zeitungen, Zeitschriften und Hunderte von Kriminalromanen. Eine rote Couch stand in einer Ecke neben einem mit dem gleichen Stoff bezogenen Sessel.
Manuel rauchte nicht. Er hatte nie geraucht. Er trank auch nicht. »Wissen Sie, ich rede nicht gern etwas nur so daher, aber ich muß Ihnen sagen, demnächst werde ich ärgerlich. Ich bin nicht vorbestraft. Ich zahle die Konzession für mein Restaurant in der Rue Fontaine und meine Steuern immer pünktlich. Ich lebe hier wie eine Maus in ihrem Loch. Wegen meines Beins kann ich die Wohnung nicht verlassen, und man muß mich ausziehen und mich wie ein Baby waschen, zu Bett bringen und mir beim Aufstehen helfen.«
Maigret kannte seinen Mann und wartete auf das Ende der Komödie. Im Augenblick spielte Manuel den Mürrischen.
»Mein Telefon dort neben Ihnen wird abgehört. Leugnen Sie es nicht. Ich bin nicht von gestern, und Sie sind’s auch nicht. Daß man meine Gespräche registriert, ist mir gleich, aber daß man Aline nicht in Frieden läßt, ist etwas anderes…«
»Hat jemand sie belästigt?«
»Na hören Sie mal, Monsieur Maigret, Sie sind schlauer als ich.«
»Das bezweifle ich.«
»Was? Sie behaupten, daß ich, der kaum lesen und schreiben kann…?«
Sein Leitmotiv. Er war darauf so stolz wie andere auf ihre Diplome.
Maigret zog lächelnd an seiner Pfeife und murmelte:
»Wenn ich so schlau wäre wie Sie, Manuel, dann würden Sie längst hinter Gittern sein, das wissen Sie genau.«
»Ach, immer das alte Lied. Um auf Aline zurückzukommen, heute geht ihr ein großer Dicker nach. Gestern war es ein kleiner Braunhaariger. Morgen wird’s ein anderer sein… Sie kann nicht zwei Koteletts und Käse kaufen, ohne daß einer Ihrer Männer ihr auf den Fersen ist! Sie, nun ja, Sie sind korrekt, und ich mag Sie gern, aber das ist kein Grund, daß Sie mich fast jeden Tag wie einen kranken Verwandten besuchen. Warum bringen Sie mir keine Süßigkeiten und Blumen? Wenn Sie mir wenigstens ein für allemal sagten, was Sie wissen wollen!«
»Heute handelt es sich um eine persönliche Angelegenheit.«
»Persönlich für wen?«
»Kennen Sie Nicole?«
»Was für eine Nicole? Es wimmelt in Paris von Nicoles. Was tut die Ihre?«
»Sie studiert an der Sorbonne.«
»An was?«
»An der Universität, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Und ich soll ein Mädchen kennen, das zur Universität geht?«
»Ich stelle Ihnen die Frage… Sie heißt Nicole Prieur.«
»Noch nie gehört.«
»Sie lebt bei einem Onkel, nicht weit von hier am Boulevard de Courcelles. Dieser Onkel, Jean-Baptiste Prieur, ist
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