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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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Ich hielt Ausschau nach einem Taxi, aber im Augenblick war keines zu sehen. Dafür bemerkte ich, dass mir zwei schwarzhaarige dunkle Männer in Lederjacken folgten.
    Bloß weg hier, dachte ich.
    Ich eilte wieder aufs Klinikgelände zurück, hastete an mehreren Gebäuden vorbei und hoffte, damit die beiden Gestalten abgehängt zu haben. Aber sie verfolgten mich weiter. Ich hörte ihre Schritte, sie waren dicht hinter mir. Einen Moment lang musste ich an den schrecklichen Unfall von Melanie denken und mir lief es heiß und kalt den Rücken herunter. Ich fing an zu rennen, rannte quer übers Gelände, vorbei an der Kinderklinik in die Rue Kirschleger und von dort zur Rue Finkwiller. Ich sah mich nicht um, rannte einfach weiter, rannte um mein Leben, war schon völlig außer Atem, würde nicht mehr lange durchhalten, aber ich wollte kämpfen, kämpfen für meine Freiheit und kämpfen für die Klärung meiner Vergangenheit. Doch meine Verfolger ließen nicht locker. Ich hastete zum Place Henri Dunant. Dort sah ich ein Taxi, das an der Ampel hielt, stürzte darauf zu, riss die Tür auf, warf mich auf die Rückbank und schrie nur noch: »Hilfe, au secours, schnell weg, Gare Centrale, vite, Gare Centrale!«
    Die ältere Dame, die schon im Taxi saß, klammerte sich entsetzt an ihrer Handtasche fest. Im nächsten Augenblick hatte einer der Verfolger das Taxi erreicht und riss an der hinteren rechten Tür. Ich hielt sie von innen fest. Dann betätigte der Fahrer zum Glück die Zentralverriegelung.
    »Vite, Monsieur, partez, fahren Sie schnell. Gare Centrale, bitte!«
    Die ältere Dame fing an zu kreischen. »Vite Monsieur, partez, partez«, rief sie. Vermutlich hatte sie jetzt Angst um ihre Handtasche, die sie noch fester umklammerte. Endlich sprang die Ampel auf Grün und das Taxi fuhr weiter. Der Ganove, welcher an der Tür gerissen hatte, fiel der Länge nach hin.
    Gott sei Dank, dachte ich. Ich war froh, den beiden schwarzhaarigen Verfolgern in ihren Lederjacken zunächst entkommen zu sein. Die ältere Dame sagte nichts mehr. Sie war wahrscheinlich völlig fertig mit den Nerven. Ich kramte einen Zwanzig-Euro-Schein aus meiner Geldbörse und hielt ihn dem Fahrer hin.
    »Schnell, Monsieur, schnell zum Hauptbahnhof, Gare Centrale, bitte schnell …« Ich sprach wieder mal Deutsch und Französisch im Wechsel, weil man in Straßburg meist beides verstand und ich in der Aufregung völlig durcheinander war. »Der Rest ist für Sie«, sagte ich und entschuldigte mich bei der Dame für die Unannehmlichkeiten. Sie sagte immer noch nichts, sah mich misstrauisch an, hielt ihre Handtasche umklammert und war bestimmt froh, als ich vor dem Straßburger Hauptbahnhof das Taxi verließ.
    Ich eilte in das Bahnhofsgebäude, sah mich um, bemerkte allerdings nichts Verdächtiges. Schnell löste ich ein Ticket für den Nachtzug nach Toulon, der um 22.40 Uhr gehen würde. Noch 15 Minuten waren es bis dahin. Auf dem Bahnhofsgelände war es mir zu gefährlich. Schließlich hatten die Ganoven womöglich gehört, dass ich zum Gare Centrale wollte, und konnten jede Minute ebenfalls am Bahnhof sein. Ich musste mich verstecken, nur wo? Auf den Toiletten, schoss mir ein Gedanke durchs Hirn. Ich folgte dem Toilettensymbol, sah mich noch kurz um, konnte aber keine Verfolger entdecken. Schnell hinein in die Männertoilette, vorbei an den Pissoirs, Tür einer Kabine auf, Klodeckel runter und erst mal durchschnaufen. Mein Gott, war das knapp gewesen. Wenn mich die beiden erwischt hätten, hätte ich keine Chance mehr gehabt. Und bestimmt war es immer noch gefährlich hier auf der Bahnhofstoilette. Mir geisterte diese Drohung durch den Kopf: ›Wir kriegen dich!‹
    Ich beobachtete den Sekundenzeiger meiner Uhr. Er schien langsamer zu laufen als sonst, viel langsamer sogar. Wie im Schneckentempo drehte er seine Runden, während ich wie auf heißen Kohlen saß. Ich hörte Schritte. Zwei Männer, die sich unterhielten, kamen näher, blieben zum Glück bei den Pissoirs. Ich hörte, wie sie pinkelten. Es klang echt. Also waren es wohl nicht meine Verfolger. Drei Minuten waren inzwischen vergangen. Die Zeit schien so gut wie stillzustehen. Dann wieder Schritte. Direkt auf meine Kabine zu. Ich zog die Beine nach oben, kauerte auf dem Klodeckel, hielt den Atem an, bis ich die Tür der Nachbarkabine hörte und erleichtert war, dass die Schritte nicht mir gegolten hatten. Ich hörte das Geräusch der sich öffnenden Gürtelschnalle, den Reißverschluss, das Rascheln der

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