Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
Vom Netzwerk:
zu finden. Wenn ich von dieser Insel kam, wenn dort meine Vergangenheit lag, dann musste ich sie einfach finden. Die letzten Meter flog ich förmlich über die Granitblöcke und kletterte dann zwischen zwei der riesigen Gesteinsbrocken zum Wasser hinab, wo die Jacht leise auf den leichten Wellen schaukelte.
    Ein Holzbrett bildete den schmalen Steg von den Steinen zum Boot. Ich sah mich um, konnte jedoch niemanden an Bord entdecken. Ein Sonnensegel war über den Baum gespannt, die Kajütentür stand offen, eine Angel lag an Deck, daneben stand ein Eimer mit etwas Wasser, ein offenes Messer glänzte neben der Angel in der Sonne und ein Handtuch hing über dem Steuer.
    »Hallo«, rief ich, »ist da wer?«
    Nichts rührte sich. Das Sonnensegel bewegte sich leicht im Wind, die Wellen plätscherten gegen den Bootskörper, die Wanten klirrten leise, aber sonst war nichts zu hören und zu sehen.
    »Hallo«, rief ich nochmals, jetzt schon etwas lauter.
    Auf dem Nachbarboot, einer heruntergekommenen Motorjacht, zeigte sich eine stämmige Frau, die nur ein Badetuch um den Körper gewickelt hatte und sonst ganz nackt zu sein schien.
    »Er schläft bestimmt«, rief sie. »Morgens schläft er immer.«
    Ich nickte ihr freundlich zu und entschloss mich, auf die Jacht zu klettern. Mit meiner Plastiktüte in der linken Hand balancierte ich über die Holzplanke, die den Zugang bildete, kletterte über die Reling und stand dann auf dem schwankenden Boot. Zwischen der Angel und dem Eimer setzte ich vorsichtig Schritt vor Schritt in Richtung Kajütentür, um dort einen Blick hineinwerfen zu können.
    Tatsächlich. Da lag er im Bug der Jacht auf einer Pritsche, nur mit einer blauen Baumwollhose bekleidet, sonst völlig nackt. Eine ausgemergelte Gestalt, gebräunt und gegerbt von Salz und Sonne, die Schnapsflasche neben sich, wie seine Freundin, mit der er die Nacht verbracht hatte. Da es inzwischen fast 12 Uhr war, wagte ich es, nochmals zu rufen.
    »Hallo, Monsieur!«, rief ich so laut ich konnte.
    Er drehte sich auf die andere Seite, sodass ich eine tiefe Narbe sah, die sich über seinen Rücken zog. Er brummte etwas von »merd’ alors«, was so viel wie ›Scheiße‹ hieß. Besonders gut schien dieser alte Seebär nicht aufgelegt zu sein. Ein lautes Schnarchen sagte mir wenig später, dass er wieder eingeschlafen war und nicht die Absicht hatte, wegen mir aufzuwachen. Etwas ratlos setzte ich mich auf die hölzernen Planken der Jacht, mit dem Rücken an die Kajütentür gelehnt, und sah über das Hafenbecken von Toulon. Ich schmeckte die salzige Luft, roch das Meer und verspürte Lust, einfach ins Wasser zu springen, um mich abzukühlen. Einzig die stolzen französischen Kriegsschiffe hielten mich davon ab, denn ich war mir nicht sicher, ob das Wasser hier wirklich sauber war. Eine Möwe landete auf dem Ruder der Jacht. Frech sah sie sich um und wagte sich sogar auf die Planken des Decks. Sie pickte am Messer, das neben dem Eimer lag, stolzierte quer über die Angel, bevor sie wieder auf das Ruder flog und in die Lüfte stieg.
    Ein Boot der Gendarmerie fuhr durch den Hafen. Jetzt suchten sie bestimmt schon in ganz Straßburg nach mir, oder sogar in ganz Frankreich, dachte ich. Aber auf diesem Seelenverkäufer würden sie mich nicht vermuten. Hier war ich zunächst in Sicherheit. Ich spähte wieder durch die Kajütentür, doch der Alte schlief weiterhin fest. Muss wohl kräftig gebechert haben, dachte ich. Seine Fußsohlen waren schwarz, ein schmutziger Kochtopf stand auf einem Gaskocher, gleich links neben der Kajütentür. Ganz vorn im Bug sah ich säuberlich zusammengelegte Segel, scheinbar das einzig Ordentliche an Bord. Der Seebär schlief, als ob er meine Geduld auf die Probe stellen wollte. Ich merkte, wie ich unruhig wurde, wie ich alle paar Minuten auf die Uhr schaute, während er seelenruhig schnarchte und heute wohl nicht mehr aufwachen wollte.
    »Hallo, Monsieur«, versuchte ich es nochmals.
    Diesmal schreckte er hoch, riss die Augen auf, starrte mich an, als ob er zum ersten Mal in seinem Leben einen Menschen sah, stieß mit dem rechten Fuß seine Schnapsflasche beiseite und schrie mich an: »Was willst du auf meinem Boot?«
    »Der Kapitän schickt mich«, sagte ich.
    »Welcher Kapitän?«
    »Der von der Hafenrundfahrt«, antwortete ich. »Er sagte mir, Sie kennen sich hier am besten aus.«
    Ich versuchte, ihm zu schmeicheln, und meine Worte taten ihre Wirkung. Der schmächtige Mann setzte sich auf seiner Pritsche auf,

Weitere Kostenlose Bücher