Mainfall
mich nochmals ins Bett. Die Sonne beleuchtete die noch feuchten Hausdächer auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei oder man hörte Kinder, die auf dem Schulweg waren.
Da Ulrich mehrmals seinen verwilderten Garten erwähnt hatte, der ihm sehr am Herzen lag, wollte ich mich wenigstens hier nützlich machen. Ich hatte Säge und Baumschere in der Garage gefunden und kurz darauf türmten sich Berge von Ästen und Gestrüpp auf der Wiese unter dem Walnussbaum. Am späten Vormittag, es muss gegen 11 Uhr gewesen sein, hatte ich das Gefühl, dass ich beobachtet wurde. Ich war dabei, den Schmetterlingsflieder neben der Terrasse kräftig zurückzustutzen, als ich außerhalb des Gartens, auf der schmalen Fahrstraße zum Nachbargrundstück, Schritte hörte. Ich hielt beim Schneiden inne und lauschte. Gleichzeitig verstummten auch die Schritte. Es war mir, als ob jemand durch die Hecke spähte. Womöglich wieder irgendwelche Ganoven, die mich ausspionierten, dachte ich. Meine Entführung steckte mir noch in den Knochen. Für einen Moment lang sah ich Lilly vor mir mit ihren Riesenbrüsten und die kalte Hand der Angst legte sich mir in den Nacken. Ich musste an die Männer in ihren Ledermonturen denken, an die schwarzen Gesichtsmasken, die sie trugen, an das Holzhaus im Wald, in dem sie mich in den Keller gesperrt hatten.
Geh in die Garage und versteck dich, sagte mir meine innere Stimme.
Mit wenigen Sprüngen hatte ich die Hintertür der Garage erreicht und verschwand darin. Gleich darauf hörte ich wieder die Schritte. Sie gingen langsam, schlichen um das ganze Grundstück herum und blieben immer wieder stehen. Mehrmals hatte ich den Eindruck, dass die Zweige der Hecke sich bewegten, vermutlich hatte sie jemand zur Seite gebogen, um besser auf das Grundstück sehen zu können.
Ich setzte mich auf einen Stapel Autoreifen, der in einer Ecke der Garage lag, und wartete. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Gedanken kreisten in meinem Kopf. Ich bemerkte, dass ich ängstlich geworden war. Wie ein Verbrecher versteckte ich mich in dieser Garage, überlegte, ob ich versuchen sollte, ins Haus zu kommen und Kommissar Rotfux anzurufen. Vorerst blieb ich lieber, wo ich war, wollte kein Risiko eingehen. Nach einiger Zeit verstummten die Schritte, was mich noch unruhiger machte. Wahrscheinlich wartet jemand nur darauf, dass ich mich zeige, dachte ich. Ich schloss ängstlich die Hintertür der Garage. Etwas Licht fiel durch die Ritzen des automatischen Rolltores ein und ich saß im Dämmerlicht der Garage und wartete. Jeden Moment konnten sie das Rolltor nach oben schieben, jeden Augenblick konnten sie über mich herfallen, mich wieder entführen oder mich vielleicht sogar töten. Zum Glück geschah nichts.
Ab und zu fuhr ein Auto den Bessenbacher Weg entlang. Um die Mittagszeit kamen die Kinder aus der Schule zurück und tollten lärmend über den Gehweg vor dem Haus. Dies veranlasste mich, das automatische Garagentor nach oben zu fahren und vorsichtig hinauszuschauen. Nichts Verdächtiges war zu sehen. Ich schlich sogar um die Ecke auf den Zugangsweg zum Nachbargrundstück, von dem die Schritte gekommen waren, auch dort war nichts Besonderes zu erkennen. Also setzte ich meine Gartenarbeit fort, nicht ohne immer wieder eine Pause zu machen und zu lauschen.
Irgendwann hörte ich erneut Schritte auf dem Zugangsweg zur Haustür.
»Du liebe Güte! Sie haben ja den halben Garten kahl geschnitten«, rief Isabell Brenner bewundernd aus, die in ihrem roten Kostüm blendend aussah.
»Tja, wenn man erst einmal anfängt«, lachte ich. »Es will gar kein Ende nehmen.«
»Da wird sich Ulrich aber freuen«, strahlte Isabell mich an. »Ich hoffe, er sieht es bei seinem nächsten Besuch.«
Ich erzählte Frau Brenner von den Schritten, die ich gehört hatte. »Ich bekam schon Angst, entführt zu werden.«
Einen Moment sah sie sehr besorgt aus. Dann aber fing sie sich wieder. »Das könnte auch der alte Herr Petri gewesen sein, ein ehemaliger Lateinlehrer, der ist weit über 80 und sehr neugierig. Er schleicht häufiger mal durch die Gegend und vielleicht wollte er nur sehen, wer da bei uns im Garten arbeitet.«
Bald kamen auch Paul und Corinna aus der Schule und es gab beim Mittagessen nur ein Thema: das Bild von Oskar, welches Paul in der Zeitung entdeckt hatte.
›Wer kennt diesen Hund?‹, lautete die Überschrift. Darunter war Oskar abgebildet. Sie berichteten, dass ich – der Fremde aus dem Fluss – den
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