Mainfall
habe auch das Gefühl, dass ich den Druck deiner Hand kenne, aber ich kann es nicht wirklich mit Sicherheit sagen.«
»Aber du glaubst mir doch, oder?«, fragte sie leicht enttäuscht.
»Schon, aber mit dem Glauben ist das so eine Sache. Lieber wüsste ich es. Bitte, sei nachsichtig.«
Ich fühlte eine große Unsicherheit. Ich kam mir komisch vor mit dieser hübschen jungen Frau, die mir so nah und doch so fern war.
»Wollen wir einen Stadtbummel machen?«, schlug sie vor. »Vielleicht erkennst du etwas wieder.«
Wir verstauten meine Reisetasche in einem Schließfach und verließen den Hauptbahnhof in Richtung Fußgängerzone. Ich war wirklich neugierig, ob ich mich würde erinnern können. Ich las die Straßennamen: Spitalerstraße, Gerhard-Hauptmann-Platz, Mönckebergstraße – aber sie sagten mir nichts. Ein Gefühl, diesen Ort bereits gesehen zu haben, vermittelte mir lediglich der Gerhard-Hauptmann-Platz. Dazu passte auch, dass Natalie sagte: »Weißt du noch? Unser Lieblingsplatz! Hier haben wir so manchen Abend gesessen.«
Auch der Rathausplatz kam mir bekannt vor. Doch ich wusste nicht, ob ich ihn nur von einem Plakat oder aus dem Reiseführer kannte. Genauso ging es mir am Jungfernstieg, den ich irgendwie zu kennen glaubte, und irgendwie wieder nicht.
Natalie gab sich große Mühe mit mir. »Und, kommt dir was bekannt vor?«, fragte sie immer wieder und sah mich gespannt an. Wenn ich dann nur über das kleinste Anzeichen eines Erkennens berichtete, war sie glücklich.
Als es bereits dunkel wurde, waren wir wieder zurück am Hauptbahnhof.
»Ich bin gespannt, ob dein Gedächtnis erwacht, wenn du meine Wohnung siehst«, sagte Natalie. »Komm, wir nehmen die U-Bahn.«
Ich kann nicht mehr sagen, wohin wir genau gefahren sind. Ich stand neben ihr in der U-Bahn, war müde und ein bisschen enttäuscht. Dabei beneidete ich die anderen Fahrgäste, die sich in die Bahn drängten und genau wussten, wie sie hießen und wohin sie wollten. Ich wusste nichts, jedenfalls fast nichts. Zwar war mir diese Natalie sehr sympathisch, allerdings war ich mir nach wie vor nicht ganz sicher, ob ich sie von früher kannte.
Endlich standen wir vor ihrem Haus. Es war eines dieser modernen Hochhäuser, hatte mindestens 15 Stockwerke, vielleicht auch 20. Sie schloss die Haustür auf und zog mich mit meiner Reisetasche hinter sich her.
»Ich wohne im obersten Stock«, sagte sie, als wir im Lift standen. Leise summend fuhr der Fahrstuhl nach oben, dann hielt er, die Türen schoben sich beiseite und wir standen im Flur, der zu ihrer Wohnung führte. Durch das Flurfenster sah man das Lichtermeer der Stadt, Hafenkräne, Gewässer und Industriehallen.
»Ist das der Hafen?«, fragte ich.
»Ja, ein Teil davon, die Aussicht ist hier leider nicht so toll«, antwortete Natalie, »aber da ich ganz oben wohne, habe ich meine Ruhe.«
Sie schloss ihre Wohnung auf und ich folgte ihr. Eine winzige Diele, ein Wohnzimmer mit Blick über die Hafenanlagen, eine Küche mit Essplatz für zwei, ein Schlafzimmer mit französischem Bett, daneben ein kleines Bad – das war alles.
»Und, erinnerst du dich?«, fragte sie wieder, nachdem ich mich etwas umgeschaut hatte.
»Nicht wirklich«, antwortete ich. Das war die Formulierung, die ich mir inzwischen angewöhnt hatte, um nicht sagen zu müssen: Überhaupt nicht.
»Es ist aber alles sehr schön«, fügte ich schnell noch hinzu, um Natalie zu trösten. Irgendwie tat sie mir leid. Ich stellte mir vor, wie enttäuscht sie sein musste. Hatte mich den ganzen Nachmittag durch Hamburg geführt, gehofft, dass ich sie kannte und noch liebte, und jetzt erinnerte ich mich nicht einmal an ihre Wohnung.
»Ich decke den Tisch, Dieter«, sagte sie. »Du kannst dich im Bad etwas frisch machen.«
Obwohl mir dieses ›Dieter‹ völlig fremd vorkam, ließ ich es dabei. Schließlich wollte ich ihr nicht noch die letzte Illusion rauben. Vielleicht hatte ich mich ja tatsächlich einmal so genannt, als ich ihr Freund war. Und außerdem wusste ich sowieso nicht, wie ich wirklich hieß.
Sie hatte Lachs als Vorspeise vorbereitet, dann Tomaten mit Mozzarella, danach eine zünftige Wurstplatte, alles sehr schön angerichtet. Zum Lachs gab es Champagner, bei dem wir blieben und den wir nach und nach leerten.
Natalie wurde dadurch etwas ausgelassener, die Spannung des Tages schien von ihr abzufallen. Sie ging barfuß, hatte den obersten Knopf ihrer Bluse geöffnet, lachte bei jeder Gelegenheit und schien es sehr zu
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