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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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meine Hand und strich mit ihren Fingern über die Linien, die dort zu sehen waren. Oskar saß auf einmal ganz still neben der steinernen Bank.
    »Du große Liebe finden«, sagte die Alte.
    Dabei lächelte sie vielversprechend und man hätte denken können, sie selbst hätte sich gerade in mich verliebt.
    »Wer? Wo?«, fragte ich die Wahrsagerin.
    Mich begann die Sache langsam zu interessieren. Was ich am Bahnhof noch inbrünstig abgelehnt hatte, faszinierte mich gerade umso mehr. Die Wahrsagerin schloss ihre dunklen Augen und das bleiche Licht des Mondes, der sich im Kanal spiegelte, schimmerte auf ihrem Gesicht.
    »Ich sehen eine Insel«, murmelte sie.
    »Wo? Wo ist diese Insel?«, fragte ich ganz aufgeregt.
    Meine Hand zitterte, doch die Alte hielt sie fest.
    »Insel im Meer«, sagte sie, »im Meer und viel Sonne und Wein.«
    »Wo? Wo im Meer?«
    »Große Liebe, schwarze Haare, schöne Frau«, murmelte sie.
    Die Wahrsagerin sah jetzt aus, als ob sie schlief, der Welt entrückt, eine Botin aus dem Jenseits. Oskar hatte sich auf das Pflaster neben der Bank gekuschelt. Er schien sich von den Strapazen unseres Eilmarsches zu erholen und hatte sich an die Wahrsagerin gewöhnt. Nicht einmal eine dicke schwarze Katze brachte ihn aus der Ruhe, die beim gegenüberliegenden Haus über eine alte, vor der Tür liegende Matratze stieg.
    »Schloss auf Insel, böser Mann, Sarg auf Friedhof«, krächzte die Alte.
    Sie sprach abgehackt, Wort für Wort, presste die Silben förmlich aus sich heraus, während sie meine Hand fest umklammerte.
    Ich spürte, dass es ernst wurde. Das war kein Spiel mehr, sie war in Trance, sprach aus einer anderen Welt, zu der nur sie und ihresgleichen Zugang hatten.
    »Du große Liebe, du zu Insel fahren.«
    Das Ganze wurde mir unheimlich und ich war froh, dass wenigstens Oskar bei mir saß. Die Wahrsagerin schnappte nach Luft und rang nach Worten.
    »Du Graf, du stolzer Graf«, krächzte sie. Ihre Stimme klang diesmal anders, als ob sie nicht mehr selbst sprach, sondern aus ihr heraus gesprochen wurde. Wie eine Bauchrednerin hörte sie sich an, die ihre Wahrheiten verkündete.
    »Wo bin ich Graf, wo ist das, wie heiße ich?«, fragte ich. Ich schrie ihr meine Fragen förmlich ins Ohr, weil ich Angst hatte, dass sie mich in ihrem Zustand nicht hören konnte. Doch sie hörte mich gut.
    »Ich sehe, was ich sehe«, sagte sie, »du große Liebe.«
    Mehr war nicht aus ihr herauszuholen. Irgendwann erschlaffte ihre Hand und sie ließ meine los. Sosehr ich auch nachbohrte, sosehr ich bat und bettelte, sie konnte oder wollte mir nicht mehr verraten.
    »Ich jetzt müde«, sagte sie, »ich zurück nach Hause.«
    Dann stand sie auf und ich hatte den Eindruck, sie sei um Jahre gealtert. Sie ging jetzt schleppend und schien plötzlich so hinfällig, dass ich ihr meinen Arm anbot und sie zurück durch die Gassen führte.
    »Ich mit Mann in Deutschland gewesen«, erzählte sie unterwegs, »jetzt sage ich Zukunft für Touristen.«
    Ein Kater huschte vor uns in einen Hauseingang. Oskar war wieder munter und bellte sofort.
    »Du schöne Hund«, sagte die alte Frau.
    Ich erzählte ihr, dass er mich aus dem Main gezogen hatte, was sie vielleicht nicht richtig verstand, denn sie sagte nur: »Schöne Hund, schöne Hund.«
    Irgendwann näherten wir uns ihrem Haus. Im zweiten Stock ging es immer noch hoch her. Stimmen, Musik und Lachen drangen durch das Fenster nach draußen. Ich zückte meinen Geldbeutel und reichte der Wahrsagerin 20 Euro.
    »Aber heute nur zehn Euro, weil du selbst gekommen«, wehrte sie ab, wobei ich das Leuchten in ihren Augen sah, als sie den Zwanzig-Euro-Schein berührte.
    »Schon gut«, sagte ich und schob ihre Hand zurück, die sie mir mit dem Schein entgegenstreckte. »Schöne Zukunft hat ihren Preis!«
     
    Zum Glück hatte ich Oskar bei mir. Er half mir, den Rückweg zu finden, indem er immer wieder Hausecken beschnüffelte und zielstrebig in Richtung Hotel zog. Allerdings war es schon weit nach Mitternacht, als wir vor unserem Zimmer erschienen. Zaghaft klopfte ich an die Zimmertür. Ein furchtbar schlechtes Gewissen plagte mich. ›Komm bald wieder‹, hatte Natalie gesagt und was hatte ich getan? War bei dieser Wahrsagerin gewesen, statt mich um sie zu kümmern und sie zu lieben.
    Gut, schwarze Haare hatte sie nicht, aber meine große Liebe konnte sie dennoch sein, ich musste ja nicht jedes Wort der Wahrsagerin auf die Goldwaage legen.
    Als Natalie die Tür öffnete, sah sie verweint aus. »Wo

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