Mainfall
kommst du denn her? Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet. Habe mir schon Sorgen gemacht, dass etwas passiert sein könnte.«
»Tut mir leid, Natalie. Das ist eine längere Geschichte. Ich bin der Wahrsagerin begegnet und sie hat mir die Zukunft gedeutet.«
»Die Zukunft gedeutet?«, stammelte Natalie. Sie war sprachlos vor Überraschung.
»Und?«, fragte sie neugierig.
»Das erzähl ich dir morgen«, sagte ich. »Sie sieht eine große Liebe für mich.«
Natalie strahlte. Sie zog mich ins Zimmer und drückte mir einen innigen Kuss auf den Mund.
»Ich bin ja so froh, dass du wieder da bist«, seufzte sie.
Dass meine große Liebe schwarze Haare haben sollte, wenn es nach der Wahrsagerin ging, konnte sie ja nicht wissen und ich sagte es ihr in dieser Nacht auch nicht.
Am Mittwoch besuchten wir die kleineren Inseln Murano und Burano. Am Donnerstag ließen wir uns einfach durch die Gassen treiben. Zwischendurch kaufte Natalie Schuhe, Shirts und ein Sommerkleid und verführte mich danach im Hotel bei einer kleinen privaten Modenschau. Den Freitag verbrachten wir am Lido, dem Strand von Venedig. Wir waren beide der Meinung, dass wir schon früher hätten im Meer baden sollen, so schön, wie das war.
Abends lud ich sie zu einem festlichen Essen ins Hotelrestaurant ein.
Nach der Vorspeise ging der Chef des Restaurants durch die Reihen, begrüßte die Gäste, wünschte einen guten Appetit und fragte, ob alles in Ordnung sei. Als er mich sah, blieb ihm zunächst der Mund vor Überraschung offen stehen, dann lachte er mich an und verbeugte sich.
»Mamma mia, il Conte del vino«, sagte er. »Welche Überraschung! Der Graf des Weines ist wieder da.«
Er schien mich zu kennen, obwohl ich mich nicht an ihn erinnern konnte.
»Graf des Weines?«, fragte ich zurück. »Ich soll der Graf des Weines sein?«
»Aber sicher, Monsieur le conte, wissen Sie denn nicht? Ihr Weingut auf der Île du vin in Frankreich«, sagte der Restaurantchef. Er schien meine Unwissenheit für einen Scherz zu halten.
»Er scheint dich zu kennen«, flüsterte Natalie.
»Ja, sieht so aus. Kennst du ihn denn auch?«
»Nein, aber wir haben damals auch nicht in diesem Restaurant gegessen«, antwortete sie.
Der Restaurantchef stellte sich mit Luigi Buonarotti vor. Er beteuerte, mich von früher zu kennen, und verschwand dann für einen Moment. Gleich darauf kam er mit einer Flasche Wein zurück und zeigte mir das Etikett.
»Sehen Sie«, sagte er, »Ihr Wein, Herr Graf. Wir haben nur noch wenige Flaschen davon.«
Ich sah mir die Flasche genau an. Eine Insel im Meer war darauf abgebildet und ›Île du vin‹ war darauf zu lesen.
Die Insel kam mir irgendwie bekannt vor, aber dass ich ein Graf sein sollte, konnte ich mir nicht vorstellen.
»Ich weiß nicht, vielleicht verwechseln Sie mich«, sagte ich zu Signor Buonarotti.
»Nein, nein, bestimmt nicht«, widersprach er heftig. »Alle paar Monate sind Sie gekommen und haben uns Wein verkauft, Herr Graf.« Daraufhin beugte er sich tief zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr: »Immer mit hübschen Damen, Herr Graf.« Dabei zwinkerte er mir mit einem Seitenblick auf Natalie zu.
Mir war das Ganze eher peinlich.
»Ich kann mich leider nicht erinnern, Signor«, sagte ich, was auf dem Gesicht von Signor Buonarotti einen Ausdruck der Verzweiflung auslöste. Er schien die Welt nicht mehr zu verstehen. Er wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und sah mich völlig ratlos an.
»Ich hätte schwören können«, murmelte er nur. »Entschuldigen Sie, Signor. Vielleicht doch eine Verwechslung.«
Er verbeugte sich, ging dienernd rückwärts und verschwand in Richtung Küche. Den Wein der Île du vin hatte er vor lauter Aufregung auf dem Tisch stehen gelassen.
»Er schien dich wirklich zu kennen«, sagte Natalie. »Vielleicht bist du tatsächlich ein Graf.«
Ich merkte, wie ihre Fantasie arbeitete. Wahrscheinlich sah sie sich schon als Schlossherrin, während ich mir krampfhaft überlegte, ob ich diesen Signor Buonarotti nicht doch schon einmal gesehen hatte. Ich nahm die Weinflasche in die Hand und sah sie ein weiteres Mal genau an. › Mise en bouteille par Domaine de l’Île du vin. Produit de France‹, las ich auf der Rückseite.
Wenn ich von dort kam, wenn ich der Graf der Île du vin war, dann hatte ich den ersten wirklichen Anhaltspunkt über meine Vergangenheit gefunden.
Ich winkte den Ober zum Tisch und bat ihn, die Flasche zu öffnen. Er verbeugte sich,
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