Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
gefährlich, wenn man zu viel über seine Zukunft weiß. Das Universum könnte aufhören zu existieren!“
Bettina schüttelt den Kopf und zieht eine Schnute.
„ Pfeif drauf“, sage ich zu Josch, und erzähle weiter.
„ Auf der Klassenfahrt am Ende des neunten Schuljahrs seid ihr immer noch ein Paar. Wir fahren an die Loreley in eine Jugendherberge. Es passiert gleich am ersten Abend. Martin und du, ihr habt Streit. Weil du mit irgendeinem anderen Jungen gesprochen hast. Wer – von wo – keine Ahnung. Martin und Jörg betrinken sich nachts heimlich in ihrem Zimmer. Ich bin kurz dabei. Mit Klaus. Aber wir trinken nichts. Oder nicht viel. Martin hat eine tolle Idee. Er will dir einen Denkzettel verpassen. Klaus und ich hauen irgendwann wieder ab. Ist uns zu blöde.“
„ Willst du jetzt Martin schlecht machen?“, unterbricht Bettina mich.
„ Nein“, entgegne ich energisch. „Diesen Martin gibt es längst nicht mehr. Nach dem heutigen Tag ist alles anders. Auch er!“ Sie schweigt, ich fahre fort:
„ Die zwei überreden Claudia, dass sie dich rauslockt. Raus in den Wald. Ihr klettert aus dem Fenster. Nur mit Taschenlampen stolpert ihr durch die Dunkelheit. Du fragst Claudia, wo es hingeht, aber sie sagt, es wäre eine Überraschung. Die Jungs haben sich verkleidet. Haben Löcher in die Bettlaken geschnitten wie an Halloween. Wollen dich erschrecken. Klaus und ich sehen aus dem Fenster, als ihr in der Nacht verschwindet. Wir wollen wissen, was passiert, und heften uns an eure Fersen. Wir haben kein Licht, um uns nicht zu verraten. Es ist gruselig. Die niedrigen Äste schlagen uns ins Gesicht. Außer Grillenzirpen hören wir nur unsere Schritte, unser unterdrücktes Gekicher. Bis die Schreie die Nacht zerreißen. Wir überlegen, ob wir zurück zur Jugendherberge rennen sollen. Ich habe die Hosen voll bis oben hin. Klaus überredet mich, nicht abzuhauen. Auch die Stimmen der Jungs sind jetzt zu hören. Alle brüllen wild um Hilfe.“
Ich pausiere, um mich zu sammeln.
„ Was passiert?“, haucht Bettina.
„ Du und Claudia! Ihr lauft in ein Wespennest. Die Wespen stürzen sich auf euch. Als Klaus und ich euch finden, versuchen die Jungs, dich zu beatmen. Aber wir sind Kinder, und niemand hat auch nur die geringste Ahnung von so etwas.“
Josch legt sein Käsebrot auf den Tisch, macht große Augen.
„ Ich sterbe?“, raunt Bettina.
Ich nicke.
„ Aber all das wird jetzt nicht passieren“, ereifere ich mich, greife ihre Hände. Sie wirkt abwesend. Ihr Blick flackert unruhig, bevor sie spricht.
„ Ich habe tatsächlich diese Allergie. Aber niemand weiß davon. Niemand. Nur meine Eltern. Mein Arzt. Und ich. Woher weißt du…? Wer bist du?“
Sie entwindet sich meinem Griff, springt auf, als wäre ich eine fette Spinne. Das kränkt mich.
„ Und wann hattest du vor, mir das zu sagen?“, kreischt sie.
„ Nichts von dem wird passieren!“, brülle ich. „Diese Zukunft existiert nicht mehr. Auch mein Vater wird heute Nacht nicht in einem brennenden Autowrack sterben!“
Ich spüre noch den Kloß im Hals, aber da ist es schon zu spät, ihn herunterzuschlucken. Tränen fluten meine Augen.
„ Wir können noch Zehntausenden das Leben retten.“
Und dann kann ich nicht mehr sprechen. Meine Stimme bricht, und ich verberge die Tränen hinter meinen Händen. Sekunden später fühle ich, das jemand mich von hinten fest in die Arme nimmt. Bettina schluchzt leise mit mir, ganz nah an meinem Ohr. Und dann kommt auch Josch, umarmt uns, und obwohl ich weine, lächle ich.
Wenig später habe ich Bettina die Details erklärt. Sie sagt wiederholt, dass sie gemerkt hat, dass ich mich verändert habe. Aber so eine irre Geschichte...!
Josch hat für Proviant gesorgt. Aber wie steht’s mit Geld? Kassensturz. Wir kommen auf über 100 Mark. Josch allein hat 80 Piepen dabei.
„ Was denn?“, wundert er sich, als er meinen skeptischen Blick bemerkt. „Ich bin ein Scheidungskind.“
Ja, das erklärt es wohl.
Ich fahre die nächste Etappe bis kurz vor die französische Grenze. Die Grenzkontrolle bereitet mir Kopfzerbrechen. Vorher fahren wir tanken. Der Tankwart im Nachtschalter schaut mich nicht einmal an, als ich bezahle. Ich parke den Wagen bei den Staubsaugern.
„ Nach Holland und Belgien rein hatten wir Glück“, beginne ich.
„ Na ja“, widerspricht Josch. „Nach Holland kannte ich eine grüne Grenze. Meine Mutter schmuggelt Kaffee für die ganze Nachbarschaft.“
„ Okay“, korrigiere ich,
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