Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
sich immer noch durch mein Äußeres in
die Irre führen, Doc? Ich bitte Sie! David Bowie. Nie gehört? War auch in
Wembley am Samstag.“
Überheblichkeit schwingt in seinen
Worten mit. Braun bleibt ruhig.
„Ich kenne David Bowie. Aber nicht
dieses Lied. Erzählen Sie mir vom letzten Samstag.“
„Nein! Ich erzähle Ihnen von einem
Samstag vor fast dreißig Jahren. Die Originalversion. Nicht das Remaster.“
Nori braucht einen Augenblick, um
seine Gedanken zu sortieren.
Braun bemerkt das schwindende
Licht, das durch die schmalen Fenster unter der Decke in den Raum fällt. Es
dämmert bereits. Er denkt mit schlechtem Gewissen an seine Frau und das kalt
werdende Abendessen.
„Zu speziellen Gelegenheiten hat
unsere Mutter immer Käsepicker zubereitet“, sagt Nori plötzlich. „Ein Stück
Gouda, eine Traube und eine Silberzwiebel auf einem Plastikspieß. Die Griffe
der Spieße waren zweidimensionale Figuren. Mexikaner mit Sombreros, die Silhouette
einer Frau. Gab es bei uns nur zu besonderen Gelegenheiten. Hießen Käsepicker.
Und Cola. Richtige Coca-Cola . Chips und Salzstangen.
Meine erste selbst gekaufte Single
war Prince Charming von Adam and the Ants . Ich stand voll auf
diesen Piraten Stil. Und diese durchgeknallten Chöre. Ein ungewöhnliches
Lieblingslied für einen kleinen Kerl, wenn Sie mich fragen. Adam spielte früh
in Wembley. Und nur einen Song. Ich war enttäuscht, dass er nicht als Pirat
kam. Aber die Bühne war seine. Er trug eine schwarze Lederjacke mit Fransen und
sprang rum wie irre. Ein randvolles Stadion. Über siebzigtausend Menschen. Mein
Bruder meinte immer, Adam mache auf Punk. Blödsinn! Adam Ant war Punk!“
„Ist dieser Adam Ant ein Vorbild
für Sie?“
„Ein Vorbild? Nein. Aber vielleicht
Bob Geldof. Er hat das Ganze ja initiiert. Cooler irischer Hund! Wissen Sie
denn, Doc, was das Gegenteil von cool ist?“
„Verraten Sie es mir.“
„ Spandau Ballett .“ Nori
lacht. Braun weiß nicht warum. Er fragt auch nicht.
„Nicht so wichtig“, winkt Nori ab.
„Ich mag sie trotzdem. Stehen Sie auf Joan Baez?“
„Ich mochte Ihre Musik früher sehr
gern.“
„So sehen Sie mir aus. The Hooters – All your Zombies. Mehr
hab ich dazu nicht zu sagen.“
Nori ist ganz in seinem Element. Er
hat vor Aufregung gerötete Wangen und scheint das Gespräch sogar richtiggehend
zu genießen.
„Howard Jones. Paul Young. Was für
Stimmen, was für Frisuren. Rick Springfield war Springsteen damals dicht auf
den Fersen. Wer weiß, wer von beiden das Rennen gemacht hätte. Springsteen
hatte Glück. Er hat Live Aid abgesagt. Füllt heute noch Stadien.“
Braun weiß, was Nori mit „heute“
meint und unterbricht ihn nicht.
„ U2 .“
Nori spricht die zwei Silben mit
soviel Ehrfurcht, als wäre ihre bloße Erwähnung bereits ein Sakrileg. Ein
Lächeln umspielt seine Lippen, dann senkt er kopfschüttelnd den Blick und
seufzt schwer.
„Von diesen vier Jungs hätten wir
noch viel gehört. Ich wette, die hätten dem Rock ’n’ Roll noch mal richtig in
den Arsch getreten! Entschuldigen Sie meine Wortwahl“, schiebt er mit einem
unsicheren Blick zu Braun hinterher.
Der lächelt milde und schüttelt den
Kopf:
„Schon gut.“
„Wissen Sie, was mich wirklich
beeindruckt hat? Bono hat das Live Aid für zwanzig Minuten in ein U2 -Konzert
verwandelt.“
„Das müssen Sie mir erklären.“
„Gerne. U2 begannen mit Sunday bloody Sunday . Eine sichere Sache. Der Song
war längst ein Hit. Und dann? Eine Zwölf Minuten Version von Bad . Kennen
Sie den Song? Ist eher ruhig. Fast monoton. Überhaupt kein Stadionrocker. Und
während die Band den Song spielt, zitiert Bono Zeilen anderer Songs. Satellite of Love, Ruby Tuesday, Walk on the Wild Side. Man weiß nicht, verneigt er sich damit vor den Stones, vor
Lou Reed, oder ruft er ihnen zu: ,Platz da, ihr alten Säcke! Wir sind die
Zukunft!‘ Ich meine, dieser kleine Mann marschiert da raus, vor über eine
Milliarde Zuschauer, und ist zwanzig Minuten später der Allergrößte. Einfach
nur, weil er er ist.“
„Ich verstehe, was Sie meinen.
Wären Sie auch gern so?“
Nori senkt seine Stimme zu einem
Flüstern:
„Ich wäre schon dankbar, wenn ich
es schaffen könnte, einem Fremden in die Augen zu schauen, ohne Angst zu
haben.“
Braun lehnt sich vor, stützt die
Arme auf den Tisch, um Nori näher zu sein:
„Wovor haben Sie Angst?“
„Meine Mutter sagt immer, man kann
den Leuten nur vor den Kopf gucken.“ Er macht eine abwehrende
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