Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Sabbath? Judas Priest? Die sind da“, sage ich.
„Aber nicht Maiden oder Manowar “,
beharrt Martin.
Ja, schon klar!
Ein lauter Ruf erlöst uns von
unserem Elend. Klaus kommt, Silvia und Claudia im Schlepptau. Wir stehen im
Kreis. Klaus beklagt sich über die vielen Hausaufgaben. Natürlich stimmen wir
ihm zu. Silvia berichtet von einem Streit mit ihrer Mutter, weil sie im
Haushalt helfen muss, aber ihr großer Bruder nicht. Ich denke an meine Familie,
höre nur mit einem Ohr zu. Klaus macht eine blöde Bemerkung, über die er selbst
am lautesten lacht. Silvia schlägt nach ihm. Martin kommt anscheinend mit so
wenig Aufmerksamkeit nicht lange klar, zieht seine Krücke aus dem Sand, und
stößt sie wie einen Billardqueue gegen Silvias Schulter. Sie kreischt, und die
beiden Jungs ergreifen die Flucht.
Nein! Ich kann keinen meiner
Freunde in meine Geschichte einweihen.
Nach und nach zerstreuen wir uns.
Tina und Silvia sitzen auf der Stange und kichern. Klaus schaukelt. Claudia und
Martin stehen beim Fort und stecken die Köpfe zusammen. Die führen doch was im
Schilde? Ich sitze oben auf der Rutsche, als die Szene beginnt.
Claudia ruft Tina. Tina springt von
der Stange. Martin geht ihr entgegen. Stapft schwerfällig durch den Sand wie
der Marshmallow-Man. Sie leichtfüßig, als könnte sie über Wasser gehen. Die
beiden treffen aufeinander. Alle schweigen, starren, warten, was jetzt
passiert. Mir gefällt das überhaupt nicht.
„Willst du mit mir gehen“, fragt
Martin hastig.
Ich spüre, wie mein Herz für einen
Schlag aussetzt.
„Nein“, antwortet Bettina, macht
kehrt und schwebt davon. Martin wendet sich Claudia zu, breitet die Arme aus,
um seine Ratlosigkeit auszudrücken. Claudia flucht.
Ich lege mich auf den Rücken, damit
niemand mich grinsen sieht, und schaue in den Himmel.
Ich sage, dass ich zum Büdchen
gehe, und verschwinde. Möchte bei dem, was ich jetzt tun werde, nicht gesehen
werden. Es ist ein bisschen wie der Weg zum Pornokino. Erregend, aufregend,
aber unter Umständen sehr peinlich, wenn man erwischt wird. Ich gehe durch die
Neubausiedlung, die hinter der Bundesstraße liegt, die unser Dorf in zwei
Hälften teilt. Hier, jenseits der Bundesstraße, gehört man eigentlich schon
nicht mehr richtig dazu. Ein Haus sieht aus wie das andere. Alle weiß
gestrichen. Alle mit Garage. Alle mit Vorgarten. Die andere Straßenseite ist
unbebaut, weil der Bauer seine Felder nicht verkaufen will. Er wird es tun,
wenn die Preise steigen. Aber heute blickt man noch über flaches Land bis zum
Nachbarort. Ich erinnere mich nicht genau, wo Josch wohnt. Das vierte Haus, dem
ich mich verstohlen nähere, ist es. Familie Rosenbaum steht auf dem Türschild.
Ich klingle und warte. Mach schon auf, bevor mich jemand sieht! Na endlich.
„Ja?“, fragt Frau Rosenbaum in
gedehntem Tonfall.
Sie sieht aus wie ein Klon ihres
Sohnes, nur größer und weiblich. Sogar die Frisur ähnelt der von Josch.
„Tag, Frau Rosenbaum“, sage ich.
„Ist Josch da?“
„Oh“, jubiliert sie. „Besuch. Da
wird er sich aber freuen.“
Da bin ich mir nicht so sicher .
„Komm rein, komm rein.“
Sie tritt beiseite. Im Profil, in
der halbdunklen Diele, sieht ihre ausladende Nase aus wie ein Schnabel. Auch
ihr singender Tonfall hat was von Vogelgezwitscher, als sie ruft:
„Josch? Wo bist du, Liebling?“
Jeder Vokal wird auf mindestens
dreifache Länge gedehnt. Ich finde sie lustig. Sie schiebt mich durch die
nächste Türe in einen offenen Essbereich. Rechts führt eine steile Wendeltreppe
nach oben.
„Er hört nichts. Geh halt rauf.“
Ich steige die Treppe hoch. Als ich
noch mal zurückschaue, steht sie immer noch da, die gefalteten Hände an ihr
Kinn gedrückt, mit einem verzückten Blick, als würde ich Josch zum
Abschlussball abholen.
„Lauf, lauf“, trällert sie.
In der ersten Etage gibt es vier
Türen, im Halbkreis angeordnet. Hinter welcher ist denn jetzt der Zonk? Ich
lausche, und höre eine monofone Melodie aus schrill quietschenden Tönen. Bachs
Toccata? Dann den markerschütternden Schrei einer Frau. Ich weiß, was Josch
da treibt. Die Tür zu seinem Zimmer ist die zweite von Links. Ich klopfe, aber
die Musik ist viel zu laut, weshalb ich unaufgefordert eintrete. Der Raum ist
lang und schmal. Ganz hinten steht ein alter grüner Sessel. Über die Lehne ragt
Josch’s Hinterkopf hervor. Er bemerkt mich nicht, starrt auf einen großen
Fernseher. Ich wusste es. Er spielt Friday the 13th auf dem C64 .
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