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Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Titel: Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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klopfen mir auf die Schulter, streicheln mir über den Kopf und
sagen, dass ich tapfer sein muss. Muss ich das? Ihre Hände sind rau wie
Schmirgelpapier von schwerer Arbeit.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass
Papa wirklich in einer Holzkiste in der feuchten Erde versenkt wird. Auf dem
Boden des Grabes hat sich ein kleiner See gebildet. Er wird doch frieren.
    Jeder Trauergast wirft eine Nelke
auf den Sarg. Papas Lieblingsblumen. Ich wusste nicht, dass er eine Lieblingsblume
hat.
    Etwas lenkt mich ab. In den nahen
Bäumen tollt ein Eichhörnchen herum. Ein Versprechen von Leben.
    Auch jetzt rauschen die Bäume. Wind kommt auf. Ich
erschrecke. Mir ist, als hätte ich eine Bewegung wahrgenommen. Dort drüben,
zwischen den Kindergräbern. Das Grablicht flackert. Seichter Regen setzt ein.
Ich laufe schnell nach Hause. Der Regen verwässert meine Tränen.
     
     
     
     
     
     
Mittwoch,
10. Juli 1985
     
     
    Die Zeit rennt mir davon. Wir
sitzen in einer Reihe auf der Tischtennisplatte und ich halte Ausschau nach
Josch. Klaus und Martin wollen wissen, wo ich gestern Nachmittag hingegangen
bin. Ein paar Fünftklässler nähern sich uns. Einer fragt, ob sie Tischtennis
spielen dürfen. Klaus springt auf und jagt sie davon. Kreuz und quer über den
Schulhof, mit lautem Gebrüll. Bettina trägt heute ein kurzes Jäckchen mit
Schulterpolstern, dazu einen hellen Hut mit schwarzer Krempe. Der Pony schaut
heraus, wild nach oben toupiert. Martin stößt mir den Ellbogen in die Seite.
„Bettina hat Claudia erzählt, dass sie deinen Tanz im Zoo voll scheiße fand.
Sie meint, du machst jetzt auf cool.“
    „Aha“, sage ich. Was ist los!?
    „Sie will dich verarschen. Pass auf,
Nori. Auf der Fete wird sie sich nur über dich lustig machen, wenn du wieder so
abgehst. Aber – pst! Bleibt unter uns, ja?“
    „Klaro, Mann!“
    Martin labert weiter, aber ich bin
abgelenkt. War da nicht ein Rascheln? Ich schaue verstohlen über meine Schulter.
Ein schwarzer Schatten huscht durch das Gebüsch und quer über meine Seele.
Schweiß tritt mir auf die Stirn. Warum hält Martin nicht endlich die Klappe?
Ich räusper mich, um verstohlen nach Luft zu schnappen, ohne dass er was
mitkriegt. Die Bestie ist ganz nah. Sie hockt unter der Tischtennisplatte, das
spüre ich. Ihre Tentakel zucken an meinen Beinen hoch. Ich muss weg! Martin
stockt mitten im Satz, als ich aufspringe.
    „Was geht ab?“, ruft er mir
hinterher.
    Ich renne zur Pausenhalle, wo die
Toiletten sind. Der Gestank von abgestandenem Urin schlägt mir entgegen, als
ich die Tür aufreiße. Jemand stellt sich mir in den Weg.
    „Jacko!“, freut Jörg sich.
    Ich lächele gequält und versuche,
mich an ihm vorbei zu drücken.
    „Ist nötig, was?“
    Er tritt beiseite. Ich renne in
eine Kabine, schließe ab, und kauere mich auf dem Klo zusammen, damit die
Bestie meine Füße nicht sehen kann.
    Die Türe quietscht und fällt zu.
Jörg ist weg, ich bin allein. Der Lärm vom Schulhof dringt nur noch gedämpft
herein. Ich wage kaum, zu atmen. Das Geräusch unzähliger trippelnder Füße kommt
näher. Ich drücke mir die Hände auf die Ohren und vergrabe mein Gesicht
zwischen meinen angewinkelten Beinen.
    „Es gibt dich nicht! Es gibt dich
nicht!“ Wie ein Mantra presse ich die Worte hervor. Und dann höre ich eine vertraute
Stimme.
    „Nori?“
    Ich horche auf. Muss vorsichtig
sein, die Bestie ist listig.
    „Josch?“
    „Nein Mann, deine Mutter, die die
Klos sauber leckt. Na sicher Josch!“
    Ich öffne die Tür. Josch mustert
mich skeptisch.
    „Hast du dir die Haare gewaschen?“
    Sie sind schweißnass.
    „Lass uns verschwinden. Hier
stinkt’s“, entgegne ich knapp. Wir gehen in die Pausenhalle. Josch scheint zu
merken, dass ich nicht weiter über den Vorfall reden will, und akzeptiert das.
Er wühlt in seinem Rucksack.
    „London.“ Er hält mir die Prospekte
unter die Nase.
    „Geil“, rufe ich lauter als
beabsichtigt. Ich falte das Erste aufgeregt auseinander. Bilder von Westminster
Abbey, vom Buckingham Palace, Doppeldeckerbusse. Sonst nur noch Werbung für
Hotels. Das Nächste scheint vielversprechender.
    „Anreise mit der Bahn“, lese ich
und sehe die Preise.
    „Was? Ich will den scheiß Zug doch
nicht kaufen!“
    Ich zerknülle den Prospekt, werfe
ihn auf den Boden und trampel drauf herum, bis er ganz platt ist. Dabei fluche
ich, weil ich echt sauer bin. Brülle mir den Ärger der vergangenen Tage aus den
Knochen. Ich meine, genug ist genug!
    „Nori“, raunt Josch,

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