Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
und von einer dichten Hecke umgeben. Der Rasen ist von Moos
durchwachsen und unglaublich weich. Wie ein Seiltänzer setzte ich einen Fuß vor
den anderen. Es ist ein perfekter, friedlicher Augenblick. Ich denke an meine
Eltern, und ein zärtliches Gefühl wärmt mich von innen. Ich habe alle Zeit der
Welt. Im Gartenhäuschen, in das mein Vater sich manchmal zurückzieht, um ungestört
Fußballübertragungen im Radio zu hören, stapeln sich ein paar meiner Comics auf
einem Tischchen. Gedankenverloren betrachte ich die Titelbilder und lächle,
weil ich tatsächlich eines wiedererkenne, das mir schon damals besonders gut
gefiel. Es ist ein früher Batman, den mir mein Vater vor gefühlten Äonen auf
dem Trödelmarkt gekauft hat. Der Joker ist darauf zu sehen. Inmitten der
gotisch anmutenden Kulisse von Gotham City stehen er und der Dunkle Ritter sich gegenüber. Natürlich nicht im fairen Kampf. Der Joker hält zwei Zünder in
den Händen. In einer Sprechblase über seinem Kopf steht:
„Eine Bombe zerstört das
Waisenhaus, die andere das Polizeipräsidium. Wen lässt Du sterben, Batman?“
Bruce Wayne und ich haben viel
gemeinsam. Klar, noch mehr unterscheidet uns. Ich bin nicht reich, bin kein
Playboy und ganz bestimmt kein Superheld. Aber wie er bin auch ich irgendwann
in eine dunkle Höhle gestürzt.
Ich weiß allerdings nicht genau,
ob ich schon wieder draußen bin.
In diesem Moment schiebt sich eine
Wolke vor meine Sonne. Eine Gänsehaut lässt mich schaudern.
Und auch ich habe einen Joker zu
erledigen!
Ich erstarre und horche tief in
mich hinein. Wie ein ferner Rufer klingt meine innere Stimme. Du kannst
diese Menschen nicht sterben lassen , ruft sie mir zu. Verdammt, sie hat
recht! Mein Körper strafft sich. Ich muss sofort etwas unternehmen! Ich kann
diese Menschen nicht sterben lassen! Es ist schon Donnerstag. Die Zeit rast!
Ich renne ins Haus zurück. Ins
Esszimmer, zum Telefon.
„Notruf Zentrale“, meldet sich eine
nüchterne Stimme. Ich habe ein Taschentuch über den Hörer gezogen, wie man es
in alten Agentenfilmen sieht. Los geht’s.
„Am Samstag wird es ein
schreckliches Bombenattentat geben.“
„Hallo? Ich kann Sie nicht
verstehen. Nehmen Sie bitte die Hand von der Sprechmuschel.“
Ich reiße das Taschentuch herunter.
„Hören Sie! Am Samstag wird jemand
eine Bombe zünden. In Wembley! Beim Live-Aid -Konzert! Tausende werden
sterben!“
„Mein Junge, es ist verboten,
Scherzanrufe bei der Polizei zu machen! Hier rufen Menschen an, die in Not
sind!“
„Ich bin in Not!“, brülle ich wie
von Sinnen, „Sie blöder Sesselfurzer! Eine Bombe in einem vollen Stadion. Der
Attentäter ist ein Holländer. Jan van Schewick. Er wird auf der Bühne als
Kabelträger arbeiten. Er trägt eine Sprengstoffweste. Haben Sie das
verstanden? Notieren Sie sich den Namen. Jan van Schewick! Hallo?“
Aufgelegt.
Ich schlage den Hörer mit aller
Kraft aufs Telefon.
„Idiot!“
Es klingelt an der Tür. Ich renne
durch den Flur und reiße sie auf. Josch!
„Es tut mir so Leid“, sprudelt es
aus mir heraus. Und weil ich seinen Blick nicht ertrage, umarme ich ihn. Josch
erstarrt, weil das unter Jungs sehr unüblich ist, aber dann entspannt er sich,
klopft mir auf die Schulter und erwidert meine Umarmung schließlich.
„Wie geht es dir?“, will er wissen.
Wir lassen uns los. Frau Engler
steht auf der anderen Straßenseite und glotzt.
„Komm erstmal rein“, sage ich.
Wir setzen uns in die Küche.
„Wir müssen was tun“, fordere ich.
Mir fällt ein, dass ich Josch eine
Erklärung schulde. Er bekommt sie. Ich berichte vom Unfall meines Vaters.
Tränen füllen meine Augen, und ich schäme mich nicht.
Josch lauscht und nickt mit
nachdenklicher Miene.
„Scheiße“, wiederholt er mehrmals.
„Scheiße, Mann!“
Er nimmt die Brille ab, tupft seine
Augen mit dem Ärmel trocken. Er weint mit mir. Ein großartiger Kerl, dieser
Josch! Wir schweigen und trinken Cola. In meinem Kopf ist Kirmes, ein wüstes
Durcheinander, aber Josch wirkt fokussiert. Er will alles wissen, über Timm,
die Fete, das Auto meines Bruders, das Konzert. Mit jeder Information, die ich
preisgebe, fühle ich mich leichter. Als Josch alles weiß, leert er seine Cola
auf ex und knallt das Glas auf den Tisch wie ein Cowboy.
„Ich habe einen Plan“, verkündet er
triumphal.
„Lass hören, junger Jedi“, sage
ich, weil ich weiß, dass ich ihm eine Freude damit mache.
Und was soll ich sagen? Josch’s
Plan ist wirklich
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