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Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Titel: Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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Elektroschocker, springt nervös vor und zurück, weil er nicht wirklich
näher an den Gorilla rangehen will. Trotzdem, oder gerade wegen seines
panischen Gehabes, hat das eine gewisse Wirkung.
    „Come on guys!
Cool down!“
    Gut – auch ein Panzer hat eine
schwache Stelle!
    Ich fordere ihn auf, uns seinen
goldenen Backstagepass zu übergeben. Was dann folgt, übersteigt meine Englischkenntnisse.
Was ich heraushöre, sind viele Beschimpfungen.
    „Was will er?“, frage ich Josch.
    „Er sagt, er hat keinen solchen
Pass.“
    Na riesig. Wenn er nicht bald
aufhört, hier herumzubrüllen, wird noch jemand auf uns aufmerksam. Den Gedanken
hat Josch wohl auch. Mit einem kurzen Elektroschock knipst er ihn wieder aus.
     
    Ich höre Elton John. Fast schon
21:00 Uhr? Höchste Eisenbahn!
    Der Mut der Verzweiflung gibt uns
Kraft. Wie beim unglaublichen Hulk . Unsere Geisel ist schlaff und schwer
wie tausend Säcke Mehl. Doch irgendwie gelingt es uns, ihn auf die Sackkarre zu
hieven. Mit Verlängerungskabeln binden wir ihn daran fest.
    Sein Kopf kippt immer wieder zur
Seite und er sabbert. Wir fühlen seinen Puls. Alles okay. Dann geht’s raus.
Josch schiebt die Karre, ich gehe vor.
    Wir biegen um die nächste Ecke, als
uns schon zwei Arbeiter in Blaumännern begegnen. Josch ist drauf und dran, den
Elektroschocker zu ziehen. Oder die Knarre. Ich schüttele energisch mit dem
Kopf, und er lässt es. In gebrochenen Englisch fragen die Arbeiter uns, was
los ist. Ich erkläre voller Aufregung, die ich gar nicht spielen muss, dass wir
ihren Kollegen bewusstlos gefunden haben und das Sanitäterzelt suchen. In einer
Mischung aus Polnisch, Englisch und Zeichensprache erklären sie uns den Weg und
verschwinden. Wir gehen weiter Richtung Stadion. Beeilen uns jetzt regelrecht,
damit es wirklich wie ein Notfall aussieht. Was es im Grunde ja auch ist.
    George Michael singt mit Elton
John. Das ist der vorletzte Song in diesem Set. Mir bleiben noch dreißig
Minuten.
    Wie die Zeit fliegt, wenn man
sich amüsiert .
    Viele recken die Hälse, drehen sich
nach uns um, sagen aber nichts. Vielleicht weil Josch nonstop „Emergency“ ruft
wie eine Sirene.
    Und endlich kommt das finale Tor in
Sichtweite. Es ist tatsächlich vergittert und wird von einer Herde Gorillas
bewacht. Unsere Geisel ist offensichtlich nur eines der Jungtiere, denn die am
Tor sind um ein Vielfaches gewaltiger. Und tätowiert. Und misstrauisch.
    „What’s up“, fragt einer durch das
geschlossene Gitter.
    Er scheint das Alphamännchen zu
sein, der Silberrücken, mit einem kurzen blonden Irokesenschnitt auf seiner
fleischigen Rübe. Ich erkläre den Notfall:
    „We need a Doctor!“
    Unser Patient wimmert. Sein
Bewusstsein scheint zu dämmern.
    Macht das verdammte Tor auf!
    „Please!“, sage ich.
    Wieder ein Wimmern. Oh, das war
Josch. Seine Arme würden müde, klagt er. Die Herde berät sich. Die Entscheidungsfindung
im Reich der Primaten scheint schwierig.
    „Okay!“, grunzt Silberrücken und
schiebt das Tor zur Seite. Ein triumphierendes Grinsen können wir uns nicht
verkneifen.
    Wir sind drin! Wir sind so was
von drin!
    Dann kommt unser Gefangener zu
sich.
    „Help!“, keucht er.
    Das wäre ja noch nicht das
Schlimmste, obwohl mir das Herz in die Hose rutscht. Bis ganz unten durch. Es
liegt zertreten im Staub.
    Aber dann: „Kidnapping! Help me!“
    Die Herde wird aufmerksam.
    Es gibt viele solcher Momente in
der Geschichte. Wendepunkte. Was wäre gewesen, wenn das Attentat auf Hitler
geglückt wäre? Wenn die Amerikaner nicht die Atombombe geworfen hätten? Wenn
die Mauer nicht gefallen wäre? Wenn Prince nicht seinen Namen eingetauscht
hätte gegen ein unaussprechliches Symbol?
    Das hier ist ein solcher
Wendepunkt. Es ist meiner.
    Was wäre geschehen, wenn Josch
nicht die Knarre gezückt hätte? Wir werden es nie erfahren. Denn er tut es.
Lässt die Sackkarre einfach los. Sie knallt auf den Boden. Unsere Geisel stößt
einen kläglichen Schmerzensschrei aus. Die übrigen Gorillas starren in die Mündung
der Waffe. Es muss der Überraschungseffekt sein. Ich meine – mal ehrlich – es
ist eine goldene Laserpistole. Aber Josch hat ein so wahnsinniges Funkeln in
den Augen, dass sogar mir ein wenig bange wird. Die Herde nimmt wie auf Kommando
die Hände hoch und weicht zurück. Das sieht beinahe komisch aus, weil Josch in
den langen Schatten der großen Männer so winzig wirkt.
    „Was jetzt?“
    „Hau ab“, zischt er.
    „Was?“
    „Geh und hol dir die Sau.

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