Makroleben
seinen Leitfiguren statt der endlosen Vorschläge und zahllosen Alternativen, die von ihnen kamen. Wheeler sagte ihm immer wieder, er solle geduldig sein und die Augen offenhalten, und dann würde er mit der Zeit schon darauf kommen, was er wollte. Das Makroleben war mit der Begeisterung und Hingabe all derer gekauft worden, die das Sonnensystem hinter sich gelassen hatten. Die Ressourcen, die hier zur Verfügung standen, waren das angeborene Recht, das für kreative Unternehmungen verwendet werden sollte. Was stimmt mit mir nicht? fragte er sich. „Niemand wird dir je sagen, was du zu tun hast“, hatte Wheeler ihm gesagt. „Du mußt allein hinter alles kommen, und du mußt deine eigenen Fehler machen. Das ist der Unterschied zwischen Wissenschaft und Glaube, Dogma und Freiheit.“ Die Freiheit lag bedrohlich und angsterregend wie ein offenes Nichts vor ihm.
Er wurde bald sechsundzwanzig Jahre alt – und noch immer war er sich selbst ein Geheimnis, und er lebte in einem noch größeren Geheimnis. Ich bin ein Fehler, dachte er. Was hat Samuel Bulero an sich gehabt, das sie in mir sehen wollen?
Manchmal wünschte er sich, er wäre wie die stärker modifizierten Bürger geboren, die ihre Gefühle offenbar besser unter Kontrolle hatten, deren Gehirnchemie für bessere Konzentrationsfähigkeit angelegt war. Er wünschte, er könnte die Körpersprache so gut wie Margret lesen. Er dachte an die Verbindung, und es schien ihm, dafür wäre er nie bereit. Ich gehöre nicht hierher – sie sind alle anders als ich.
Voller Sehnsucht sah er nach den weißgelben Sonnen. Ein Teil ihres Lichts wurde durch Filter abgeschwächt, aber er konnte erkennen, daß die Sterne sich eine Atmosphäre teilten. Sie waren durch einen Plasmafluß verbunden, der in magnetischen Kanälen hin und her floß und die zwei Himmelskörper wie mit einer feurigen Nabelschnur verband, die weniger als einen Planetendurchmesser lang war.
John dachte über Lea, den fünften Planeten, nach. Was hätte es für ihn bedeutet, wenn er dort aufgewachsen wäre? Doch dann schob er sich mit zwei machtvollen Flügelschlägen aus der Gewichtslosigkeit. Einen Augenblick später glitt er vorwärts durch seine Welt. Der Wind sang ihm in den Ohren, als er näher auf den riesigen Sonnenschirm zuschwebte, von der atemberaubenden Pracht des Doppelsterns angezogen.
13. Leitfigur
Die Tür glitt auf, und John Bulero betrat den hell erleuchteten Arbeitsraum seiner Leitfigur. Rob Wheeler befand sich nicht in dem großen, runden Zimmer, aber der Arbeitsschirm in dem Schreibtisch in seiner Mitte war angeschaltet und zeigte ein Dutzend mathematischer Funktionen. John ging an den verschiedenen Computerausgängen für Geisteswissenschaften II vorbei zur Tür des Observatoriums. Die Tür öffnete sich, und er trat in den dunklen Raum.
Als sich die Tür hinter ihm schloß, paßten sich seine Augen der Beleuchtung an, und er konnte Rob Wheeler ausmachen, der sich über einen Horizontalschirm in der Mitte des Raums beugte. Nur zwei von den fünfundzwanzig Schirmen, die das Observatorium umringten, waren angeschaltet und zeigten vergrößerte Sternenfelder. Der Projektionsraum über ihren Köpfen war dunkel.
Wheeler drehte sein blasses, weißhaariges Profil John zu und winkte ihn näher an sich heran.
Sie sahen wortlos auf den Planeten auf dem Kartenschirm herab: eine volle Scheibe, die von ziehenden weißen Wolken verhüllt war, dunkelblaue Meere, Bereiche von Wüste und Vegetation und blendend weiße Polkappen.
„Ich habe seit mehr als einem Jahrhundert keinen wirklich schönen Planeten mehr gesehen“, sagte Rob. „Beim letzten war ich zweihundertdrei Jahre alt.“
„Schön und gefährlich“, sagte John. Er erinnerte sich daran, was ihm beigebracht worden war. „Voller Krankheiten und unvorhersehbarer Vorgänge.“ Er erinnerte sich daran, wie er im Alter von zehn Jahren in dem Wald bei dem See in der Höhlung gespielt und so getan hatte, als hätte er sich auf einem eine halbe Galaxis weit entfernten Planeten verlaufen. Als er auf das schwarze Rasternetz hinabsah, das die Aussicht auf Lea bedeckte, dachte er an die Glasfenster, die er in Bildern in alten Büchern gesehen hatte.
Plötzlich war der Planet verschwunden, und eine Lichtsäule schien in das dunkle Observatorium, die von der gefilterten Helligkeit der zwei Sonnen ausging.
„Weißt du etwas von der Geschichte dieses Planeten?“ fragte Wheeler.
„Nur den Namen.“
„Wir sind weniger als
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