Mal Aria
Egozentriker, verliebt in den Erfolg, er war ein wichtiger Zoologe, kannte die Eigenheiten einer Gattung, und während in Indien jemand mit Bezeichnungen wie »geringelte« und »gefleckte« Moskitos hantierte, verfügte Grassi durchaus über Fachjargon. Auf drei Verdächtige grenzte er das Feld ein: Zwei Culex-Arten und eine Anopheles claviger. Im Gegensatz zu Ross in Indien war Grassi in der Via de Pretis in Rom mit viel Geld, einem modernen Labor und einem Forscherteam verwöhnt. Malaria war Staatsangelegenheit. Den Franzosen und Engländern ging es vor allem um ihre Kolonien. Den Italienern ging es um das blanke Überleben. Grassi ging es um den Ruhm.
Als Ross ihm mit seinem spektakulären Alleingang zuvorkam, ging in Italien auf einmal alles ganz schnell. Noch im selben Monat, im Juli 1898 , fuhr Grassi in Landkutschen durch die Campagna, von einem Malariapfuhl zum nächsten, mit Notizbuch und Reagenzgläsern bewaffnet. Er wanderte durch die Sümpfe, horchte auf ein bestimmtes Summen, stülpte Gläser über die Verdächtigen, sobald sie sich niederließen. In den Bauernhöfen besuchte er Fieberkranke, fahndete auch dort, unter den Betten, in Schränken, Mistkübeln, selbst hinter den Heiligenbildchen, nach uns. In Rom ließ er seine Gefangenen an einem Menschen saugen – und der lag bald darauf im Fieber.
Im November präsentierte Dr. Grassi seine Untersuchungen. Er hatte den Weg des Parasiten durch Mensch und Mücke verfolgt und bewiesen, dass Malaria nur durch eine Moskitoart übertragen wird: Anopheles. (Warum haben sich die Dämonen bloß uns ausgesucht?) In seinem Bericht zitierte der Italiener den Engländer ganz klein, am Ende. Man brauchte eine Lupe, um seinen Namen zu sehen. Einen Monat später, im größeren, prominenten Bericht, ist Ross’ Name nicht mal mehr mit einem Mikroskop zu finden. Grassi war eine kleine Ratte, er sprang auf den fahrenden Zug auf. Das Einfachste für ihn war es, Ross zu ignorieren. Der Engländer konnte ja noch nicht mal zwei Moskitos voneinander unterscheiden.
Ross war außer sich vor Wut. Grassi sei nur durch seine Beschreibung einer »grauen Mücke mit gefleckten Flügeln« darauf gekommen, dass es sich um Anopheles handelt. Dieser Italiener habe zudem seine Versuchsanordnung einfach kopiert.
Es war auch der Kampf zweier Denkmodelle: Ross stand für Intuition und Hingabe, Grassi für kühle Systematik und Perfektion. Am Ende ging es beiden um das Gleiche: wer seine Flagge als Erster in den Malariamond steckte.
Der Streit fand seinen Höhepunkt im Jahre 1902 , als Ronald Ross den Nobelpreis erhielt. Kurz davor war noch die Rede davon gewesen, ob sich die beiden den Preis teilen sollten. Doch am Ende fuhr der Engländer alleine nach Stockholm.
Der Zyklus war enthüllt. Der Überträger war enthüllt. Die Welt konnte für immer verändert werden. Die Welt der Menschen, die Welt der Mücken. Wir Anopheles waren fortan auf ewig mit der Malaria verbunden. Wenn mich Dr. Giovanni im Hospital Salbino sieht, mich erkennt, dann sieht er Malaria. Nichts anderes als Malaria. Ich bin das Wort. Bald würde er es lesen.
10 .Tag
Nach einer Untersuchung in dem Raum mit den großen Tieren schoben sie zwei Hände durch den neonhellen Flur – die Hände stellten sie im Rollstuhl neben einer Glastür ab. Ein Vorraum. Links von ihr ein Empfang. Eine Schwester mit Häubchen, die den Maschinenpark bewachte, die nur zur Hälfte lächelte. Nur ihr Mund lächelte, ihre Augen traf keine Wärme. »Ein Pfleger aus Ihrem Stockwerk kommt gleich, er bringt Sie auf Ihr Zimmer«, sagte sie.
Das Gesicht von Carmen weiß, das Blut darin zerstört. Ihre innere Uhr sagte, dass bald das Zittern beginnt. Ein Rollstuhl hat keinen Gurt. Er braucht keinen. Wenn es anfängt, falle ich aus dem Stuhl, knalle gegen die Glastür oder auf den Boden – nur daran konnte sie denken. Wie sie auf dem Linoleumboden hin- und herschlägt, ein Fisch auf dem Trockenen.
In dem Raum saß ein Mann mit einer Hornbrille und einem kahlen Kopf. Eine ältere Dame, die atmete, als würde sie in ein Mikrophon pusten. Eine Vierzigjährige mit einem Umschlag in der Hand. Ein Mann, der solch starke Schlupflider hatte, dass seine Augen es aufgegeben hatten, um Platz zu feilschen.
Wie sollte sie jemals in ihr Zimmer im zweiten Stock kommen, wenn sie zu schwach war, die Räder einen Millimeter zu bewegen, wenn es Vorschrift war, dass jemand sie fuhr, es Vorschrift war, dass jemand den Knopf mit der Zwei im Fahrstuhl für sie
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