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Mal Aria

Mal Aria

Titel: Mal Aria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Stephan
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Overall von der Malaria-Behörde aus der Stadt zu rufen? Für einen Tropfen Blut.
     
    In Afrika gibt es eine Regel: Es ist so lange Malaria, bis alles andere ausgeschlossen ist. Weil die Symptome mannigfaltig sein konnten. In Brasilien gibt es diese Regel nicht. In Rio gab es irgendwann eine Lehrbroschüre für Ärzte, darauf stand: »Fieber? Vorsicht, es könnte Malaria sein!«
     
    Ihr Körper ist doch überschaubar. Er ist durchsichtig. Es ist doch nicht zu viel verlangt. Augen, in die man leuchten kann. Haut, die gelb wird. Organe, die man von außen greifen könnte, so groß waren sie. Was braucht ihr denn noch?
     
    Eine der Schwestern war so schön, als käme sie aus einem Land, in dem sonst niemand wohnte. Sie nannte Carmen »Gringa«, weil sie nicht wusste, wie sie das »arme kleine Ding, das zum Fürchten aussah«, sonst nennen sollte. Als Carmen am frühen Morgen, es war noch dunkel, zu einer Untersuchung geweckt wurde, man sie auf eine Trage legte und davonrollte, drückte ihr die Schwester im Vorbeifahren einen Kuss auf die Wange.
     
    Irgendwann sagte jemand »Gelbfieber«. »Es könnte Gelbfieber sein.« Es könnte sein, dass ihr zu dumm seid! Seht ihr denn nicht? Wacht auf.
     
    Sie wartete und wartete. Sich selbst immer wieder Geduld verordnend. Sie war ja nicht in einer Eishöhle auf dem Mount Everest gefangen, sie war nicht in eine Felsspalte gefallen, ohne Handyempfang. Sie war in einem Krankenhaus.
    Alles wird gut. Das war die Angst, die sie beruhigte. In die Angst konnte man sich einwickeln wie in eine Decke, aber sie würde einen nie wärmen.
    Sie war müde, wollte schlafen, aber kaum schloss sie die Augen, quälten die Bilder sie.
    Die Galeeren kamen. Sie wusste nicht, warum, aber sie rechnete die Teddybären einer diffusen guten Seite zu, sie gehörten zu irgendetwas, das auf ihrer Seite war. Das gegen die bösen Bilder, die Fratzen, die Soldaten vorging.
    Etwas blieb.
    Lange wusste sie nicht, was das war. Wer, der sich zwischen Bilderflut und Schlägen, kurz bevor der Kopf in Stücke brach, noch eine Stimme verschaffte? Der betete: Bitte, lieber Gott, lass mich ins Koma fallen. Lass es endlich aufhören. Bitte. Lass mich ins Koma fallen.
    Manchmal spürte sie ihr Gewicht nicht auf dem Bett. Sie hatte kein Gewicht mehr. Drei Trauben wogen mehr. Wovon ist die Rede, wenn von einem
vernichtenden
Krankheitsgefühl die Rede ist? Wer vernichtet? Was wird vernichtet? Knochen, Neuronen, Organe, Seele? Im Grunde wusste sie nichts. Sie lag da mit ihrer schwarzen Leber unter dem schwarzen Saturn und wusste nichts.
    Malaria macht traurig, sie vernichtet durch Schwäche. Wenn Menschen in Afrika gleichgültig am Straßenrand sitzen, als drücke sie ein Lehmsack nieder, sagen die vorübergehenden Fremden: Sie strengen sich nicht an, sie haben aufgegeben. Dass es die Melancholie ist, in die einen die Malaria hüllt, das wissen sie nicht.
    Der Sitz dieser Schwermut ist die Milz. Die aufgeblähte, durch die zerborstene Blutkörperchen driften. Die Milz,
the spleen.
    Mit einer großen Milz kamen die Offiziere, die Weltenbummler aus den Kolonien zurück. Mit sich und der Welt zerfallen. Ihrem seltsamen Zustand gab man den Namen »Spleen«. Dabei war es oft die Malaria, die ihnen den Kopf zerschmetterte. Mit bleichen Gesichtern liefen sie durch die Straßen, die Augen weit und leer. Künstler ahmten ihren Weltschmerz nach. Sie wandelten die kranke Milz in Kultur. Alles wandelt ihr in Kultur.
    In diesem Sinne waren es Malaria-Worte, die Baudelaire schrieb. Die Geißeln hatten sie ihm geflüstert, und sie flüstern sie noch heute:
    Und manchmal ist’s, als strömt mein Blut von hinnen,
    Wie eine Quelle hör’ ich’s schluchzend rinnen,
    Allein ich hör’ das lange Murmeln nur
    Und tast’ vergebens nach der Wunde Spur.
    Niemand hörte es. Niemand fand ihrer Wunde Spur.
    Ich schwirrte um das Fenster. Was sollte ich tun? Was war das für eine gottverlorene Situation? War die Hoffnung eine Entscheidung? Dass die Dämonen sterben mussten, nicht sie. Die Hoffnung ist das Einzige, das immer wieder neu beginnt. Schon allein im Wort Hoffnung liegt Hoffnung. Immer wieder. Ohne jemals zu wissen, was das überhaupt sein soll. Hoffnung. Draußen in der Vier-Uhr-Sonne saß ein Arzt, trank eine Tasse Kaffee. Ich flog zu ihm. Sah, wie eine Mücke, der Engländer würde sagen, »eine Graue«, ihn dabei störte. Sie schwirrte ihm vor der Nase, schwer mit Blut beladen. Der Mann erschlug sie, im selben Augenblick, in dem er sie

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