Mala Vita
Cardone abweisend. »Ich habe bisher versäumt, die Mitgliedsliste der Mafia einzusehen, ich werde es aber nächste Woche nachholen.«
»Witzbold!«, brummte d’Aventura und drückte die angefangene Zigarette im Aschenbecher aus. »Mir wäre geholfen, wenn Sie mir einiges über Ihren Bruder erzählen könnten. Was war er für ein Mensch? Welche Hobbys hatte er? Hatte er irgendwelche Vorlieben? Vielleicht hatte er Angst und Sie ins Vertrauen gezogen? Hat er Ihnen gegenüber etwas über eine Verbindung zur Mafia erwähnt? Das sind doch alles Dinge, die man sich unter Brüdern erzählt oder einfach weiß!«
Cardone musterte sein Gegenüber mit sichtlichem Widerwillen. Sein Blick blieb an d’Aventuras Kopfverband haften. »Wahrscheinlich haut man Ihnen andauernd auf den Kopf, weil Sie Menschen in Cafés abpassen und dumme Fragen stellen oder atemberaubende Behauptungen aufstellen.«
Der Comandante lachte laut auf, legte seine Packung Zigaretten auf den Tisch und winkte der Bedienung.
»Un café doppio, prego«,
und im gleichen Atemzug meinte er an Cardone gewandt: »Der Tod Ihres Bruders scheint Ihnen nicht sehr nahezugehen.«
»Nein.«
»Was meinen Sie mit nein? Können Sie auch ganze Sätze bilden?«
Carlo schaltete sich ins Gespräch ein. »Nein ist ein vollständiger Satz und bedeutet in diesem Falle: Der Tod seines Bruders geht ihm nahe. Danken Sie dem Herrn für Ihre Sprachbarriere. Sie bewahrt Sie davor, von uns gelangweilt zu werden.«
»Sie habe ich nicht gefragt!«, knurrte d’Aventura. »Und wenn Sie sich aus unserem Gespräch nicht heraushalten, dann wird Ihnen ganz schnell ganz langweilig!«
»Der Tod meines Bruders geht mir nahe«, wiederholte Cardone, ohne eine Miene zu verziehen. »Der Grad meiner Trauer lässt sich wohl kaum an der Anzahl der vergossenen Tränen ablesen.«
»Immerhin erben Sie ein Vermögen, wenn ich mich nicht irre. Häuser, Konten, eine gutgehende Kanzlei? Insofern gibt es für die Trauer keinen Anlass, nicht wahr?«
»Wenn Sie es so genau wissen«, antwortete Cardone einsilbig, »weshalb fragen Sie mich?«
»Sicher hat Ihr Bruder ein Testament verfasst«, bohrte d’Aventura weiter, »schließlich war er Anwalt.«
»Ja.«
»Das möchte ich bitte sehen.«
»Weshalb?«
»Weil ich gerne wüsste, welche Reichtümer Ihr Bruders im Laufe der Jahre angesammelt hat.«
»Enrico war nicht reich!«, erwiderte Cardone aggressiv. »Ich bekomme mein Elternhaus und das Haus, in dem mein Bruder die Kanzlei betrieben hat. Beide sind renovierungsbedürftig, wenn ich das anmerken darf.«
»Vergiss das Konto in Verbania nicht!«, schaltete sich Carlo ein und hielt erschrocken seine Hand vor den Mund! »
Scusi
, Signore! Ich habe ja Redeverbot.«
Cardone verstand den Hinweis seines Freundes sofort. »Richtig«, sagte er und wandte sich an d’Aventura. »Ein Konto bei der Cassa di Risparmio. Etwas über fünfzigtausend Euro. Damit kann ich nicht einmal die Fenster erneuern.«
D’Aventuras Blick schweifte wie zufällig über die sich am Café vorbeidrängenden Passanten. Wie es schien, dachte er über Cardones Worte nach, während die Bedienung einen Espresso vor ihn hinstellte. Der Comandante nahm zwei Löffel Zucker und starrte in die Tasse. »Wo ist das Testament?«, fragte er, ohne aufzublicken.
»Machen Sie einen Ausflug an den Lago Maggiore! Es befindet sich beim Nachlassgericht in Pallanza.«
D’Aventura schien die Ruhe selbst, obwohl in ihm der Ärger über die ablehnende Haltung Cardones gärte. »Verzeihen Sie, Signor Cardone«, sagte er, »Sie haben keinen Grund, mir so feindselig zu begegnen.«
Cardone schaute unverwandt den Koloss an, der mit Inbrunst den Zucker in seinem Espresso verrührte. »Man hat mich bei den Carabinieri behandelt wie einen Verbrecher, als ich mich um die sterblichen Überreste meines Bruders kümmern wollte. Ich habe mich sogar an Ihre Behörde in Palermo gewandt. Niemand gab mir eine vernünftige Antwort auf meine Fragen. Ich wurde regelrecht abgewimmelt! Stattdessen werde ich von Reportern verfolgt und kann seit Tagen nicht auf normalem Wege das Haus verlassen. Leute wie Sie habe ich bis hierhin!« Er legte die Handkante unter das Kinn. »Sie erlauben?« Er griff nach d’Aventuras Zigarettenschachtel und bediente sich.
»Da kann ich Sie nur darum bitten, für meine Kollegen Verständnis zu haben. Sie sind in einer schwierigen Situation. Der Fall Ihres Bruders ist brisant. Sicher ist Ihnen bekannt, dass er Consigliere der Mafia war. Die
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