Mala Vita
wollte darüber auch nichts wissen. Ist das endlich alles?«
»Mit anderen Worten, eine stille Übereinkunft. Sie ahnten also, dass Ihr Bruder unsaubere Geschäfte tätigte.« D’Aventura beobachtete sein Gegenüber wie eine lauernde Natter.
Cardone winkte d’Aventura mit einer knappen Handbewegung näher zu sich heran, als wolle er ihm etwas Vertrauliches sagen. Dann raunte er: »Die Schlichtheit Ihrer Schlussfolgerungen unterschreitet sogar die dümmsten Vorurteile über Carabinieri. Haben Sie es nicht begriffen? Ich habe keine Lust mehr!«
»Den Witz kannte ich, mein Lieber! Ich will nicht unken, aber meiner Meinung nach hat in unserem Land jeder Rechtsbrecher einen Anspruch darauf, bestraft zu werden. Deshalb kümmere ich mich auch um Leute wie Sie! Wissen Sie, Cardone«, fuhr d’Aventura freundlich fort, »die einen schieben Wahrheiten vor sich her, die anderen tragen sich krumm an der Lüge. Welcher der beiden Gruppen gehören Sie denn an?«
»Dreimal dürfen sie raten. Und wenn Sie ihren Espresso ausgetrunken haben, verschwinden Sie! Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen, außer: Finden Sie Enricos Mörder!«
D’Aventura nickte nachdenklich. »Ach, noch eine letzte Frage: Wohin wollen Sie reisen?«
Cardones Stimme überschlug sich fast. »Darf ich etwa nicht?«, fragte er scharf zurück.
»Das habe ich Sie nicht gefragt«, antwortete d’Aventura.
»Möglicherweise mache ich einen Kurzurlaub, um mich von Ihnen zu erholen. Dagegen spricht doch nichts, oder?«
Der Comandante sah Cardone ruhig in die Augen. Dann kippte er den Rest seines mittlerweile kalten Espressos hinunter, erhob sich und verschwand ohne ein weiteres Wort im Menschengewühl unter den Arkaden der Via dell’Indipedenza.
Kaum war er ein paar Schritte gegangen, klingelte das Handy in seiner Tasche.
»Hi, Livio! Ich bins, Emilio. Wo bist du gerade?«
»In Bologna, wo sonst«, erwiderte d’Aventura. »Vor einer Minute habe ich mit Roberto Cardone gesprochen und habe erfahren, dass die Kanzlei in Premeno aufgelöst wurde. Anscheinend haben die Herrschaften alle Akten beiseitegeschafft.«
»Aus dem gleichen Grund rufe ich an«, antwortete Venaro, »unter anderem. Bevor du weiterredest, erst einmal das Wichtigste: Minetti will sofort mit dir sprechen. Hier raucht die Bude.«
»Ich kann mir denken, weshalb.«
»Wie es aussieht, will er dich vom Fall abziehen.«
»Das höre ich heute zum zweiten Mal«, polterte d’Aventura. »Minetti kann mich … Ich fliege mit der nächsten Maschine nach Varese und lasse mich dort abholen. Ich will morgen nach Premeno zu den Anwaltskollegen dieses Cardone …«
»Das kannst du dir sparen«, unterbrach Venaro den Comandante. »Die Carabinieri aus Stresa wollten die beiden gestern zum Verhör abholen, haben aber nur eine leere Kanzlei vorgefunden. Dort hängt nicht einmal mehr ein Vorhang. Zu Hause waren die Herren auch nicht. Sie scheinen fluchtartig das Land verlassen zu haben. Den Nachbarn zufolge wurden sie seither nicht mehr gesehen.«
»Porca miseria!«,
fluchte d’Aventura.
»Wie dem auch sei«, fuhr Venaro fort, »ich muss dich mit dem Chef verbinden. Wenn er erfährt, dass wir beide …«
»Später!«, fuhr d’Aventura seinem Assistenten über den Mund. »Ich drehe fast durch. Es geht alles schief, was nur schiefgehen kann. Aber der Reihe nach …! Wer hat die Einäscherung unseres Cardone angeordnet?«
D’Aventura hörte aus dem Handy überraschtes Atmen. »Spinnst du?«
»Nein! Roberto Cardone hat mir vor zehn Minuten den Wisch unter die Nase gehalten. In dem Brief stand irgendetwas von einem Kommunikationsfehler. Man hätte nicht gewusst, dass der Tote einen Verwandten habe. Wie kann so etwas passieren?«
»Die Leiche ist direkt nach Einlieferung in die Gerichtsmedizin vom Staatsanwalt freigegeben worden. Es gab keinen Anlass, sie zu obduzieren. Normalerweise teilt in einem solchen Fall das Gericht den Angehörigen sofort mit, dass die Bestattung vorgenommen werden kann.«
»Aber genau das ist nicht passiert!«
»Und was jetzt?«, fragte Venaro mürrisch. »Soll ich seine Asche reanimieren?«
»Es reicht, wenn der lebendige Cardone in Bologna stinksauer ist. Und das mit Recht.«
»Ich werde mich um eine Entschuldigung kümmern, Livio. Übrigens, Rosanna Lorano ist in Italien eingereist. Sagt dir der Name etwas?«
»Perlaquale?« D’Aventura stockte der Atem. Entsetzt fasste er sich an die Stirn. »Sieh doch mal in den Unterlagen nach! Der SISDE hat sie als die
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