Mala Vita
spinne.«
»Aber nur weil Sie von übergeordneter Ebene für diesen – ich gebe zu – spektakulären Mordfall Narrenfreiheit erhalten haben, müssen Sie sich nicht wie ein Bulldozer aufführen. Wir wissen doch beide, wie das hier läuft.«
»Ich schon!«, knurrte d’Aventura böse. Seine dunklen Augen blitzten, und er war außer sich vor Zorn. »Aber ob Sie das wissen, ist mir nicht so ganz klar. Weiß der Himmel, wer Sie auf diesen Sessel gehievt hat, Minetti. Ich vermute, irgendein Ministerfreund.«
»Ich dulde Ihre Unverschämtheiten nicht länger! Sie werden sich für diese Unterstellung sofort entschuldigen, sonst tragen Sie die Konsequenzen dafür!«
»Entschuldigen? Das werde ich nicht. Sie wissen ganz genau, dass man mir diesen Sessel« – d’Aventura deutete auf Minettis Stuhl – »vor einem Jahr fest zugesichert hatte.«
»Sie werden sich dran gewöhnen müssen, dass
ich
in diesem Büro sitze.«
»Ich glaube nicht, dass ich mich daran gewöhnen werde«, entgegnete d’Aventura. »Auf der anderen Seite erlebe ich es nicht zum ersten Mal, dass manche Karrieren in diesem Zimmer schon bald an der Inkompetenz scheiterten. Ihr Vorgänger hat sich nur knapp ein Jahr auf Ihrem Stuhl gehalten.« D’Aventura hatte sich zur vollen Größe aufgerichtet und blickte auf seinen Vorgesetzten herab, dessen Stirnglatze vor Aufregung feucht glänzte.
»Ich muss schon sehr bitten«, zischte Minetti böse. »Reißen Sie sich zusammen, d’Aventura!«
»Sie sollten Livio einmal erleben, wenn er sich nicht zusammenreißt, Signor Minetti!«, kicherte Venaro, der entspannt in einem der Besuchersessel lümmelte und mit dem Aschenbecher spielte.
Venaros Haar hatte die für einen Sizilianer völlig untypische Farbe polierten Kupfers, und es strebte in wilden Locken in seinen Nacken. Sein blasses Gesicht war übersät mit auffälligen Sommersprossen, noch mehr aber fielen seine wasserhellen Augen auf. Sie waren ununterbrochen in Bewegung, und ihnen schien nichts zu entgehen. Der junge Mann redete nicht viel, doch wenn er es tat, dann mit einer forschen Schnoddrigkeit, die zu seiner arglosen Optik in krassem Widerspruch stand. Es fiel jedem schwer, den Blick von dem auffallenden Gesicht abzuwenden. Aber man nahm den immer lächelnden Mann nicht ernst, was die meisten von seiner Gefährlichkeit ablenkte. Zwar hatte sich der Questore über seine unmittelbaren Mitarbeiter und ihre Fähigkeiten unterrichten lassen, doch angesichts Venaros jugendlichen und beinahe unbedarften Aussehens fiel es ihm schwer, an dessen Kompetenz und kriminalistische Fähigkeiten zu glauben.
»Halten Sie die Klappe, Venaro!«, schnappte Minetti im Befehlston zurück. »Und für Sie immer noch Questore Menetti!« Er bedachte den jungen Commissario mit einem vernichtenden Blick.
Auch d’Aventura sah seinen Assistenten verärgert an. »Er hat recht! Halte wirklich die Klappe, Emilio!«
Venaro genoss sichtlich die Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten und machte den Eindruck, als sei er neugierig, wer das Duell gewinnen würde. Die gespannte Atmosphäre in Minettis Büro wurde durch die stickige Luft und die Hitze zusätzlich gesteigert. Die Klimaanlage war wieder einmal ausgefallen.
D’Aventuras Augen verrieten Enttäuschung, Verbitterung, vielleicht auch verletzte Eitelkeit, während er seinen Vorgesetzten Minetti musterte. Nach dem Weggang des ehemaligen Behördenleiters hätte er Anspruch auf den Chefsessel gehabt. Stattdessen setzte man einen neuen Mann aus Milano vor seine Nase, der zuvor einen Verwaltungsposten im Polizeidienst versehen und nicht die leiseste Erfahrung bei der Bekämpfung organisierten Verbrechens hatte, geschweige denn, dass er etwas über Sizilien wusste.
Wieder wandte sich d’Aventura an den Questore: »Was meine Narrenfreiheit angeht, wie sie sich auszudrücken beliebten, verehrter Signore, ich nenne sie die Erteilung von Vollmachten. Aber wir können es abkürzen: Der komplette Fall liegt deshalb auf meinem Schreibtisch, weil ihn die Guardia di Finanza auf Anordnung des Innenministers an mich abgeben musste. Enrico Cardone war nicht irgendwer, seine Anwaltskanzlei sollte wegen des Verdachtes auf Geldwäsche in den nächsten Tagen durchsucht werden. Cardone hat nach Geheimdienstinformationen bei der Verschiebung riesiger Summen eine zentrale Rolle gespielt, auch wenn er in einem Bergkaff am Lago Maggiore den unscheinbaren Rechtsanwalt spielte. Die verheerende Botschaft dieses öffentlichen Mordes hat die
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