Mala Vita
politisch sanktionierte Zwangsverblöder. Sie beginnen mit der Ignoranz gegenüber dem Humanpotenzial und enden mit der Vernichtung des Humankapitals, indem sie mit ihren Shows das Niveau zurückgebliebener Schimpansen unterschreiten.« Sein Blick traf den seines sprachlosen Vorgesetzten. Und weil er gerade so in Fahrt war, ließ er seiner Frustration freien Lauf: »Sicher werden Sie mir wieder vorwerfen, ich würde übertreiben. Aber mit bösem Zynismus schützt sich der desillusionierte Mensch vor der Resignation, so sagt man doch. Und anders kann ich die Menschheit manchmal kaum noch ertragen.«
D’Aventura atmete tief durch. Es war gesagt, was er sagen musste. Anderenfalls wäre er erstickt. Jetzt suchte er in seinen Zetteln, die er aus der Tasche gezogen hatte, nach einer Notiz.
»Sehen wir uns das wahrscheinliche Motiv an! Mit dem Mord an Cardone hat man verhindert, dass die Finanzpolizei ein Wirtschaftsverbrechen nachweisen kann. Wir müssen nun befürchten, dass sämtliche Beweise vernichtet werden. Der Mord wird jedenfalls nicht ohne Folgen bleiben. Santorinis Männer werden Bruno Sforzano über kurz oder lang an irgendeiner Großbaustelle in einen Betonsockel gießen, wenn wir ihn nicht vorher einfangen.«
Sandolo warf seinem Kameramann einen begeisterten Blick zu. »Haben wir das im Kasten?«, rief er. Letzterer nickte nur und grinste genüsslich, während Minetti seine Backen aufblies und die Luft geräuschvoll aus seinem gespitzten Mund entwich.
Der Questore sprang auf. »Jetzt ist es aber genug!«
Auch Ponti hatte sich erhoben. Lächelnd kam er auf Sandolo zu. »Das Interview ist beendet, Signori. Sie können gerne noch ein paar Außenaufnahmen in den Bergen machen. Alles Weitere hören Sie von unserer Presseabteilung.«
Enttäuscht packten die Herren vom RAI zusammen, und nach wenigen Minuten waren Venaro, Minetti, Ponti und d’Aventura wieder unter sich. Das Gesicht des Questore erinnerte an einen roten Luftballon, der jeden Augenblick zu platzen droht. Nur die Anwesenheit Pontis brachte ihn dazu, seine Stimme in Zaum zu halten. »Wissen Sie, Comandante«, raunzte er ungnädig, »Prognosen sind eine schwierige Sache. Im Übrigen entbehrt Ihre These zum Motiv jeder Grundlage. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Sie stützen sich ausschließlich auf Mutmaßungen. Hätte, könnte, wäre! Mehr haben Sie nicht im Köcher. Glauben Sie, die vom Fernsehen kriegen das nicht mit?«
D’Aventura wandte sich sichtlich genervt an Venaro, der bislang geschwiegen hatte. »Emilio, er begreift es nicht! Erkläre dem verehrten Questore, was unser eigentliches Problem ist!«
»Nun ja …«, begann Venaro umständlich. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es gibt zwei wesentliche Blickwinkel. Wir sind nicht einen, sondern meist zwei Schritte zu spät. Die Mafia hat in Italien die Verwaltungen, die Medien und die Parteien infiltriert, dazu die Rechte, aber auch Teile der Linken. Sie spukt nicht nur in den Köpfen der kleinen Leute, wie man gerne glauben will, sie sitzt an den Schaltstellen der Macht. Gekaufte Politiker haben ein großes Interesse daran, dass es bleibt, wie es ist, weil sie abhängig und erpressbar sind. Und deshalb sind wir davon überzeugt, dass man die Paten vor einer Durchsuchung der Geschäftsräume in Premeno gewarnt hat. Das Gleiche gilt für die Fahndung hier. Sforzano war längst gewarnt, als wir hier in Caltabellotta anrückten.«
»Sie übertreiben, Venaro«, fuhr Minetti dazwischen.
»Ich übertreibe keineswegs. Es geht um zu viel Geld, um Reputation, Karrieren und Einfluss. Besitzstände werden mit allen Mitteln verteidigt. Ich will nicht ausschließen, dass es auch mutige Beamte, Politiker, Journalisten und Geschäftsleute gibt, aber die Grenzen verschwimmen. Die Mafia ist seit einigen Jahren unsichtbar geworden. Eine Realität, die nur wenige der Verantwortlichen zur Kenntnis nehmen wollen.«
»Haben Sie das gehört, d’Aventura?«, giftete Minetti wie eine kleine Viper, »Venaro ›will nicht ausschließen‹! Was für einen Kerl haben Sie da an Ihrer Brust genährt? Der redet wie Sie!« Der Questore schritt zum wiederholten Male in zackig strammer Haltung den Raum ab, machte eine plötzliche Kehrtwendung und reckte in unbeabsichtigter Nachahmung sein Duce-Kinn vor. Mit durchdringendem Blick fixierte er seinen Comandante.
Venaro bekam einen Lachanfall. »
Mama
d’Aventura«, prustete er und schlug sich vor Vergnügen mit der Hand auf die Schenkel.
»Chi presto decide
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