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Mala Vita

Mala Vita

Titel: Mala Vita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio M. Mancini
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dort wartete niemand auf ihn.
    Seine Frau hatte ihn vor Jahren nicht nur aus Angst vor der Mafia verlassen, sondern weil sie auch seinen beruflichen Ehrgeiz nicht mehr ertragen konnte. Seine Vision, den Kampf gegen die Ehrenwerte Gesellschaft eines Tages zu gewinnen, hatte ihn einsam gemacht, unfähig zum partnerschaftlichen Dialog, verbissen und hart. Die Aussicht, in einer leeren, stillen Wohnung vor der Glotze zu sitzen, machte ihn nicht fröhlicher. Und wenn er daran dachte, dass er im Fall Cardone keinen Schritt weitergekommen war, hätte er sich am liebsten einen angetrunken.

[home]
Premeno
    P
orca miseria!
Kann der Kerl nicht fahren? Cardone bremste scharf ab, hielt am äußersten Straßenrand an und zog die Handbremse.
    Ausgerechnet an der steilsten Stelle der Auffahrt nach Premeno kam ihm ein schwerbeladener Lkw entgegen und rangierte in der Spitzkehre. Zentimeter um Zentimeter mahlten sich die Zwillingsreifen des Ungetüms in den weichen Untergrund der Bankette und näherten sich bedrohlich dem senkrecht abstürzenden Hang. »Wenn er so weitermacht, ist er schneller im Tal, als ihm lieb ist«, knurrte Cardone und schüttelte den Kopf. Mit einem Zischen stellte der Fahrer die Druckluftbremse fest, sprang aus dem Führerhaus und ging um sein Fahrzeug, um nachzusehen, wie weit er noch zurückfahren konnte. Auf dem Rücken seines dunkelroten Overalls leuchtete die Firmenaufschrift:
»Distruggi documenti professionali«.
    Ich möchte wissen, was der mit seinem Aktenvernichter hier oben will, dachte Cardone ungeduldig und trommelte nervös mit den Fingerspitzen aufs Lenkrad. Endlich bestieg der Fahrer wieder seinen Laster und stieß einen Meter zurück. Eine schmale Lücke tat sich auf. Cardone ließ die Kupplung hart kommen, und sein alter Fiat schoss mit aufheulendem Motor an dem Hindernis vorbei. Einige Serpentinen noch, dann würde er das Dorf auf dem Plateau erreichen.
    Schnell näherte er sich der letzten Kuppe, die für einen Augenblick im juliblauen Nichts endete. Abrupt nahm er den Fuß vom Gas. Premeno! Mit kreischenden Reifen lenkte er seinen Wagen über die Piazza Centrale und parkte zwischen zwei Platanen direkt vor einer niedrigen Steinmauer.
    Für einen Augenblick verharrte er im schäbigen Polster seines Wagens, dann stieg er aus. Er fühlte sich elend und schuldig zugleich. Enricos Tod erfüllte ihn mit Trauer und Wut, in die sich Bilder von Rosanna mischten. Die Erinnerung an die anregende Stunde mit ihr auf der Piazza Maggiore in Bologna drängte sich immer wieder in den Vordergrund.
    Noch während er den Wagen abschloss, beobachtete er aufmerksam seine Umgebung, als rechne er damit, verfolgt zu werden. Sein Blick streifte über eine Gruppe alter Männer, die sich auf einer Parkbank in der überschatteten Grünanlage des Dorfes angeregt unterhielten. Sie kümmerten sich nicht um ihn genauso wenig wie der zottelige Straßenköter, der mitten auf der Piazza dösend in der Sonne lag. An der im milchigen Dunst liegenden Bergkette auf der gegenüberliegenden Seite des Lago Maggiore rissen sich letzte Wolkenfetzen des nächtlichen Unwetters von den Felsspitzen los, und die Sonne warf breite Lichtbalken auf den See. Es würde ein heißer Sommertag werden.
    Mit schnellen Schritten näherte sich Cardone den mittelalterlichen Bruchsteinhäusern von Premeno.
»Centro storico«
war auf einem Wegweiser zu lesen. Der grandiose Blick über die dicht bewaldeten Steilhänge und die sattgrünen Wiesen hinunter auf den See berührten ihn auf eine seltsame Weise. Seine Gedanken verknüpften die Gegenwart mit der weit zurückliegenden Vergangenheit aus Kindertagen. Jedes Haus und jeder Baum waren ihm vertraut und doch wieder fremd. Auch die kleine Cafébar am Ortseingang, deren Tür weit offen stand.
    Stimmen der Gäste drangen an sein Ohr. Er tauchte in die enge Gasse zwischen den Häusern ein, deren grobe Steinfassaden im Himmelsspalt scheinbar zusammenwuchsen. Obwohl die Neuzeit mit ihren Errungenschaften längst auch hier eingezogen war, auf den ersten Blick schien die Zeit vor hundert Jahren stehengeblieben zu sein.
    Das grelle Sirren einer Bandsäge drang aus einem offenen Tor und vereinigte sich mit dem Stakkato eines aufgeregten Radiosprechers. Im Halbdunkel der Gasse hockte ein Greis geduckt auf einem Schemel vor seiner Werkstatt. Cardone warf im Vorbeigehen einen Blick ins Innere. Bilder aus seiner Jugendzeit standen ihm wieder vor Augen. Es hatte sich seither kaum etwas verändert. Wie schon vor

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