Mala Vita
»Corriere della Sera« und stellte gewagte Vermutungen über die Kanzlei in Premeno an. Auch wenn Roberto nicht glauben wollte, dass sein Bruder eine »ominöse Figur« der ehrenwerten Gesellschaft gewesen sein soll, seine Beobachtungen in der Anwaltskanzlei schienen diese Behauptungen eher zu bestätigen.
Zu allem Überfluss hatte auf der ganzen Fahrt extreme Hitze geherrscht, bis endlich die Sonne am Horizont verschwand. Jetzt war es im Auto erträglicher, und Cardone genoss den angenehmen Luftzug durch das geöffnete Seitenfenster. Auf dem Weg zur Stadtmitte nahm er die Messeausfahrt, weil sie um diese Zeit ein besseres Durchkommen versprach. Es war die richtige Entscheidung. In weniger als fünfzehn Minuten erreichte er die gotische Basilica di San Domenico unweit seiner Wohnung in der Vicolo Santa Lucia. Sogar einen Parkplatz fand er auf Anhieb. Er schloss den Wagen ab und wuchtete die Kiste seines Bruders aus dem Kofferraum. Notfalls würde er wieder den Hintereingang benutzen, sollten immer noch Reporter die Haustür belagern. Doch als er in die Straße einbog, schien alles ruhig zu sein. Anscheinend hatten die Herrschaften von der Presse die Geduld verloren.
Carlo erwartete ihn seit einer Stunde. Sie hatten zwischendurch zweimal miteinander telefoniert und der Freund hatte ihm geraten, vorsichtig zu sein. Und tatsächlich! Als er in die Einfahrt kam, entdeckte er Fremde, die offenkundig auf ihn warteten. Aber auch auf der Rückseite des Gebäudes lehnten zwei Männer, die er nicht kannte, an der Hauswand. Cardone hatte sich eine Ausrede zurechtgelegt, für den Fall, dass er angesprochen werden sollte. Aber wider Erwarten sprach ihn niemand an. Zügig durchquerte er mit seiner Kiste den Hinterhof. Trotz seiner Anspannung war er nicht in der Lage, die Gedanken abzustellen, die ihm ständig durch den Kopf gingen. Zu viel war am Lago Maggiore geschehen, was sein Leben nachhaltig verändern würde. Er war froh, einen Freund und Vertrauten zu haben, mit dem er die völlig unerwarteten Perspektiven besprechen konnte, die sich ihm eröffneten.
Er war auf Carlos Gesicht gespannt, wenn der hörte, dass Enrico ihn zum Besitzer zweier Häuser und Inhaber eines Bankkontos gemacht hatte. Ein wenig über fünfzigtausend Euro hatte Enrico auf der Cassa di Risparmio angesammelt. Der Wert der Immobilien, auch wenn sie renovierungsbedürftig und in einer eher abgelegenen Region lagen, war seiner Einschätzung nach beträchtlich. Cardone fühlte sich auf seltsame Weise unwohl, weil er eine heimliche Freude über diesen Geldsegen empfand und sich seine Existenzsorgen von jetzt auf gleich erledigt hatten.
Er schloss die Wohnungstür auf und traf im Flur auf Carlo in einer Küchenschürze. Ein wenig außer Atem setzte er die Kiste ab und hockte sich darauf. »Du siehst aus wie deine eigene Mutter!«
»Schön, dass der Bambino endlich da ist. Das Essen ist fertig«, erwiderte Carlo feixend, kam ihm entgegen und schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Seine langen schwarzen Haare fielen auf sein schwarzes T-Shirt, das seine drahtige Figur unterstrich.
»Tutto bene«,
prangte in großen weißen Lettern quer über seiner Brust. »Du siehst abgekämpft aus. Ich hoffe, du hast wenigstens Hunger. Ich fürchte, ich habe versehentlich für eine Kompanie gekocht.«
»
Buona sera
, erst mal …« Cardone schnupperte in Richtung Küche. »Ich habe seit heute Morgen nichts mehr gegessen.«
»Wie ist es dir ergangen, erzähl doch!«
Cardone blies die Backen auf. »Drei Tage nur Rennereien! Du glaubst nicht, auf welche Pietätlosigkeit man bei Behörden trifft. Ich dachte immer, Gott schuf keine Anträge und Formblätter. Aber vermutlich habe ich die Schöpfungsgeschichte nur flüchtig gelesen.«
»Er hat Menschen und Beamte erschaffen, Letztere die Formulare. Wie kannst du erwarten, dass Staatsbedienstete Mitgefühl zeigen, wenn sie Vorschriften und Verordnungen eigens dafür erfunden haben, dass du sie einhältst? Hast du die heutigen Zeitungen gelesen?«
»Ja, hab ich«, antwortete Cardone angewidert. »Sogar im Radio berichten sie ununterbrochen davon. Es ist zum Kotzen! Man kann es nicht mehr anhören.«
»Dann hoffe ich, dass dir die Fernsehnachrichten den Appetit nicht restlos verderben. Apropos Fernsehen …«
»Was ist damit?«, erkundigte sich Cardone ohne großes Interesse.
»Immer wenn mein Handy klingelt oder ich ans Telefon gehe, schneit es auf dem Bildschirm. Irgendetwas ist kaputt. Ich hoffe nur, dass der
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