Mala Vita
ihm wie ein Wunder, dass er bisher den Paparazzi der Regenbogenpresse noch nicht in die Arme gelaufen war.
Dann hörte er Schritte auf der Treppe.
»Bist du dort oben?«, rief Carlo.
»Ja«, antwortete Cardone. »Bring dir eine Tasse mit!«
Wenig später erschien Carlo mit einem Bündel Zeitungen. Cardone konnte in seinem Gesicht lesen, dass Enrico wieder für Schlagzeilen gesorgt hatte. Er warf einen Blick auf die Balkenüberschrift des »Messaggero«: »Cardone ein Pate der Mafia?«
»Lies den Artikel lieber nicht!«, sagte Carlo, setzte sich mit einer Tasse Cappuccino auf die Brüstung der Terrasse und ließ ein Bein baumeln. Roberto griff nach der Zeitung und las:
Wie aus Kreisen der Carabinieri verlautet, geht die Anti-Mafia-Kommission davon aus, dass Enrico Cardone zum inneren Kreis der Mafia zählte. Nach ersten Erkenntnissen spricht vieles für eine Schlüsselposition, die Cardone als Syndikus der ehrenwerten Gesellschaft innehatte. Allem Anschein nach war Premeno das geheime Finanzzentrum mächtiger Paten. In polizeinahen Kreisen wurde die Vermutung geäußert, dass Cardone eng mit dem Waffenhändler Romano Grasso befreundet war, was die Spekulationen nährt, dass er eine zentrale Rolle im Rüstungsskandal der Gruppo Agosto gespielt hat. Laut gut informierter Quellen soll E. Cardone maßgeblich an der spektakulären Auflösung des Untersuchungsausschusses mitgewirkt haben, der massive Unregelmäßigkeiten innerhalb des Konzerns aufklären sollte. Angeblich – so ein geheimes Papier, das der Redaktion zugespielt wurde – soll das Netzwerk dubioser Waffenlieferungen in Krisengebiete bis in höchste Regierungskreise reichen.
Von Seiten des Innenministeriums wurde diese Mutmaßung als diffamierend und skandalös gewertet. Man werde den verantwortungslosen und staatsschädigenden Behauptungen in aller Schärfe entgegentreten und gegebenenfalls die Urheber zur Rechenschaft ziehen.
In der Kanzlei des Rechtsanwaltes in Premeno wurde gestern niemand mehr angetroffen. Scheinbar wurden die Büros überstürzt geräumt, die beiden Partner M. P. und P. S. sind mit unbekanntem Ziel verreist.
Enrico Cardone wurde von einem Killer der Mafia öffentlich liquidiert. Unsere Redaktion berichtete ausführlich …
Wütend warf Cardone die Zeitung in die Ecke und steckte sich eine Zigarette an. »In welchem Film bin ich gelandet? Kannst du mir sagen, was man unter ›polizeinahen Kreisen‹ versteht?«
Carlo zuckte die Achseln. »Vielleicht der Geheimdienst.«
»Ich frage mich, was als Nächstes kommt. Woher haben die Zeitungen nur diese Infos? Oder saugen sich diese Wortakrobaten das nur aus den Fingern? Ich kann diesen abscheulichen Mist nicht mehr lesen!«
»Du wirst ihm kaum entgehen«, entgegnete Carlo, verließ die Brüstung und setzte sich an den Tisch. »Es hat keinen Wert, sich darüber aufzuregen. In spätestens zwei Wochen redet keiner mehr davon. Der nächste Skandal ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«
»Es ist der reinste Horror! Ganz egal, ob ich den Fernseher anschalte oder durch die Stadt gehe, an jeder Ecke schaut mir Enrico entgegen. Wohin ich sehe, springen mir die Headlines der Presse in die Augen. Bald wird mir eine Horde gefräßiger Piranhas im Genick sitzen.«
»Setz dir eine Perücke auf und geh als Frau aus dem Haus!« Carlo lachte. »Du kannst dir aber auch einen Mastino Napoletano anschaffen. Da geht dir jeder weiträumig aus dem Weg.«
»Quatschkopf! Ich haue ab!«, beschloss Roberto mit fester Stimme. »Ich habe die Schnauze voll. Im Brief meines Bruders war von einem Sir Ghallager die Rede. Enrico schrieb, er sei sein bester Freund gewesen. So wie ich meinen Bruder gekannt habe, war er immer extrem misstrauisch gegenüber Bekannten. Wenn er diesem Mann sogar sein Geld anvertraut hat, dann weiß Ghallager garantiert eine Menge über meinen Bruder. Ich muss ihn sprechen. Es ist traurig, aber wahr, Ghallager ist der Einzige, der mir helfen kann, das Bild meines Bruders zurechtzurücken.«
»Das hört sich vernünftig an«, erwiderte Carlo.
»Ist es auch. Ich brauche das ominöse Notizbuch, und ich will wissen, was es mit dem Bankkonto auf sich hat.«
Plötzlich fiel ihm Rosanna ein und der laue Abend, an dem er mit ihr im Café gesessen hatte. Irgendwo hatte er noch ihre Visitenkarte. Er kramte in seinen Taschen. Nichts. Dann fiel ihm ein, sie musste in der Tasche des Jacketts stecken, das er an jenem Abend getragen hatte.
Carlo beobachtete stirnrunzelnd seinen Freund.
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