Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
ein Feigling. So eine Geschichte zu erfinden. Aber ich habe sie nicht erfunden. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.«
*
Die Frau des Schriftstellers. Wahrscheinlich hätte Maggie diese Anrede gefallen, wäre sie nicht so viele Jahre die Frau des Gangsters, Mafiosos und Clanchefs Giovanni Manzoni gewesen, jenes Giovanni Manzoni, der dann zum Verräter wurde. Danach die Ehefrau eines Schriftstellers zu werden war ein Ding der Unmöglichkeit. Was ihr aber die Zornesröte ins Gesicht trieb, war Freds widerlicher Versuch, sich von seinen Schandtaten reinzuwaschen, indem er sie schwarz auf weiß niederschrieb. Gab es eine perversere Art, sich ein reines Gewissen zu verschaffen? Und wie gerne er sich auf seine bescheuerte Veranda zurückzog! Er, der sich im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern seiner Gang nur für seine Stellung in der Hierarchie der Cosa Nostra interessiert hatte. Manche gingen angeln, andere joggten, zogen Hunde groß oder versuchten im türkischen Bad Pfunde zu verlieren. Giovanni Manzoni nie. Der bekam nur glänzende Augen, wenn er eine neue Methode gefunden hatte, mit der er jemanden wie eine Weihnachtsgans ausnehmen konnte – ohne dass die Gans es merkte. Und jetzt lechzte er danach, sich acht Stunden am Stück vor eine verrostete Schreibmaschine zu setzen? Wollte er das Prinzip der Beichte um eine zynische Variante bereichern? Wollte er seinen verbrecherischen Glanztaten ein Denkmal setzen? Wie jemand, der seinen Sünden nachtrauert? Er tauchte die Feder tief ins Tintenfass seiner schwarzen Seele ein, eine Quelle, die sicher niemals versiegen würde. Die Nachbarn mochten bereitwillig seinen Lügenmärchen glauben – sie, Maggie, niemals.
Sie war zehn Minuten zu früh. Sie parkte den Wagen in der Rue Jules-Guesde in Evreux, zündete sich zum Zeitvertreib eine Zigarette an und versuchte sich Freds Reaktion vorzustellen. Nur Hohn und Spott hätte sie geerntet, hätte sie ihm über ihren Termin heute Morgen die Wahrheit gesagt.
»Was willst du dir beweisen, arme Maggie? Willst du deine Seele retten? Für meine Sünden büßen? Sei dir aber über eines im Klaren: Ich bereue nichts. Wären die Dinge anders gelaufen, wären wir noch in Amerika. Mit unserer Familie und meiner ganzen Gang, und wir würden noch immer das Leben führen, das uns zusteht. Und nicht vor uns hin rosten. Sei also nicht beleidigt, wenn ich mich über deinen Versuch, die Heilige zu spielen, halb totlache.«
Die Zweigstelle des nationalen französischen Hilfswerks im Departement Eure sucht einen freiwilligen Mitarbeiter für Verwaltungsarbeiten. Diese Anzeige stand im Clairon de Cholong. Nur ein bisschen Zeit, ein bisschen praktische Erfahrung und viel Begeisterung waren vonnöten. Maggie fühlte sich geradezu auserkoren für diese Aufgabe. Aber nicht von Gott, denn an seine Güte glaubte sie so wenig wie an seine Strenge. Schon lange hatte sie sich von ihm abgewandt. Die Wege des Herrn blieben ihr unergründlich. Manchmal bereitete es ihm zum Beispiel ein teuflisches Vergnügen, Dinge noch komplizierter zu machen, als sie eh schon waren. Maggie ärgerte das. Durch sein Bemühen, für die Menschen stets ein Mysterium zu bleiben, machte er in ihren Augen alles noch schleierhafter. Dieses ewige Schweigen, Maggie hatte das Handtuch geworfen. Und dazu das Getue mit der Transzendenz und der Ewigkeit – alles eine Spur zu schwermütig und tiefsinnig. Sie gestand es sich nicht gerne ein, aber Gott ließ sie inzwischen kalt. Weder die Dornenkrone noch die Muttergottes noch die Sixtinische Kapelle noch das Aufbrausen einer Kirchenorgel bewegten inzwischen noch irgendetwas in ihr. Das einzige Wunder, das ihr Herz noch rührte, ließ sich in einem Wort zusammenfassen: Solidarität. Begegnet war sie ihr in belanglosen Situationen, beim Fernsehgucken, Radiohören oder im Kino. Da war dieser Werbespot für eine Zusatzversicherung, der sich nicht scheute, den hohen moralischen Wert und die altruistische Mission des Versicherungsunternehmens mit anschwellendem Geigenspiel zu untermauern. Tränen traten Maggie in die Augen, richtige Tränen. Wie bescheuert, dachte sie, aber jedes Mal, wenn dieser Spot ausgestrahlt wurde, passierte das Gleiche. Dann gab es diesen Hollywoodfilm, in dem eine anonyme, aber mitfühlende Menschenmenge dem jungen Helden hilft, seine Geliebte wiederzufinden. Auch hier war der Einsatz von Streichinstrumenten enorm, Maggies Herz schlug schneller; stolz war sie nicht gerade darauf. Jedes Mal, wenn in den Nachrichten
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