Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
erinnert sich sogar an den Tag, an dem er versucht hat, auf einer Bank Trampolin zu springen, und in ein Tablett mit leeren Gläsern gefallen ist. Und daran, dass sein Cousin Ben ihm dann die Glassplitter aus dem Bauch gezogen hat, einen nach dem anderen, bis der Krankenwagen da war.«
»Wie könnte ich das vergessen?«, meinte Warren.
»Du warst höchstens drei Jahre alt«, sagte Ben. »Das war bei der Hochzeit von Paulie und Linnet.«
Die Hochzeit war eine der letzten schönen Erinnerungen, danach kamen nur noch schreckliche, nach Giannis Zeugenaussage. Paulie wanderte für siebzehn Jahre ohne Bewährung ins Gefängnis. Linnet wurde zur Trinkerin.
»Riech ich nicht Polenta?« sagte Belle, als sie in die Küche kam.
»Belle? Bist du das, Belle?« Ben verschlug es den Atem, als er seine Cousine sah.
Er nahm sie bei der Hand, hob ihre Arme hoch, um sie von Kopf bis Fuß bestaunen zu können. Dann drückte er sie vorsichtig an sich, als hätte er Angst, sie zu beschädigen.
»Die Franzosen wissen deine Gegenwart bestimmt nicht zu schätzen. Ich erinnere mich noch, wie dein Vater dich ins Restaurant Beccegatto mitgenommen hat. Du bist zur Tür hereingekommen, und keiner hat mehr ein Wort gesagt. So war es übrigens immer. Auch wir großen Jungs gaben unser Bestes. Wir wollten eben gut dastehen, und das vor einer Göre von nur acht Jahren!«
Unten in der Waschküche stellte Fred eine Schale mit frischem Wasser vor die Hündin, die noch schlaftrunken war.
»Wovon Hunde wohl träumen?«, fragte er sich und tätschelte sie an den Flanken.
Malavita stand auf, um ihren Durst zu stillen, dann legte sie sich auf den Rücken, damit ihr Herrchen ihren Bauch streicheln konnte. Wahrscheinlich schlief sie so viel, weil sie Heimweh hatte. Sicher träumte sie vom australischen Busch, ihrer Heimat, wo die Böden trocken und die Nächte eisig waren und wo ihre Urgroßmutter einst die Schafherden zusammenhielt und beschützte. Malavitas Körper war für ein solches Leben immer noch wie geschaffen, er war sehnig und muskulös, ihre Brust war stählern, ihr Fell kurz und grauschwarz, und den feinen, spitzen Ohren entging sicherlich nicht das geringste Geräusch. Warum sollte sie sich also nicht in den Schlaf flüchten, wenn sie ihren Instinkt schon nicht ausleben durfte, wenn alles um sie herum fremd war? Fred kannte diesen Schmerz zu gut, er wünschte ihn niemandem, nicht einmal einem Hund. Er war wohl der Einzige, der sich in Malavita und ihre sinnlose Existenz hineinversetzen konnte, verloren und kaltgestellt in der normannischen Heckenlandschaft. Sie hatte nicht die geringste Lust, sie kennenzulernen. Fred gab ihr voll und ganz recht, niemand durfte ihr Vorwürfe machen. Er kniete nieder und küsste ihre Schnauze. Malavita ließ es geschehen und rührte sich nicht. Er machte das Licht aus und ging wieder zu den anderen.
»Alles, an was ich mich erinnern kann, ist deine Polenta mit Krebsen«, sagte Belle und tunkte ein Stück Brot in die Soße. »Eine Frage. Warum muss man zur Polenta immer komplizierte Soßen machen? Mit Krebsen, Leberpastete, mit Spatzen …«
»Mit Spatzen? Was ist das für ein Unsinn?«, fragte Warren.
»Deine Schwester hat recht«, sagte Ben. »Die Polenta hat nicht viel Eigengeschmack, man muss ihr mit einer Soße auf die Sprünge helfen. Da ist alles erlaubt, was eben gerade so im Haus ist. Ich hatte einmal Spatzen im Garten geschossen und sie dann für die Soße verwendet. Als Belle das mitgekriegt hat, hat sie geweint wie ein Schlosshund.«
»Du hast meine Kleine zum Weinen gebracht, du Dreckskerl?« Fred schaltete sich wieder ins Gespräch ein. »Wann gibt’s was zu essen?«
Ben servierte seine Polenta getreu einem alten Familienritual. So wurde der Abend zu einer Art Versöhnungsessen, das von der Einheit der Familie kündete. Man aß aus der scifa , das machte das Essen zu einer feierlichen Angelegenheit. Die scifa war eine einfache rechteckige Schale aus Holz, aus der jeder sich mit seinem Löffel selbst bedienen konnte. Ben hatte mit ein paar geschickten, schnellen Bewegungen die Polenta auf die scifa gehäuft, bevor sie hart werden konnte. Jetzt zog er ein paar Rinnen in den Brei für die Soße, das Krebsfleisch platzierte er in der Mitte. Das Spiel konnte beginnen. Jeder grub sich nun mit seinem Löffel durch die Polenta einen Weg zu den Krebsen. Wer am gierigsten aß, war am ehesten bei dem Getier. Belle und Warren, die sich weder für Maisgrieß noch für Krebse besonders begeistern
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