Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
genügte und der Kerl stellte sich hinten an. Fred fürchtete sich nicht vor einem Fremden, und wenn nötig, schritt er auch zu dessen Verteidigung. Er unterstellte nie jemandem vorschnell aggressives Verhalten. Und er fühlte sich auch erst dann bedroht, wenn er wirklich bedroht wurde. Er verstand nicht, wieso heutzutage Angst sich so schnell in erbärmliche Feigheit verwandelte und man aus Panik vor einer Auseinandersetzung lieber in hasserfülltes Schweigen verfiel. Fred konnte diese Angst spüren, wenn er durch die Straßen ging. Sie nutzte niemandem. Sie war die reinste Verschwendung.
In einer ganz anderen Welt lebte dagegen Belle, die Reine. Ihre Existenz gab denen recht, die behaupteten, Kakteen hätten die schönsten Blüten, und im Schlamm wüchsen die prächtigsten Blumen. Aus dem Dunkel war ein Wesen voller Anmut und Unschuld geboren worden – und an dieser Anmut und Unschuld erfreuten sich viele. Eine Begegnung mit ihr auf der Straße – und schon ging es einem besser. Ihre Schönheit war weder von Hochmut noch von Grausamkeit begleitet, sie war großzügig, keineswegs wählerisch, sie war für alle da. Ein jeder hatte Anrecht auf eine nette Geste, ein freundliches Wort, einen engelsgleichen Blick von ihr; wem das nicht genügte, der hatte allerdings Pech gehabt. Belle war und blieb unberührbar; die, die ihr Glück erzwingen wollten, mussten es bitter bereuen. Da sie unschuldig blieb, konnte sie jeden Fremden anlächeln und jedes Lächeln, ohne den Kopf senken zu müssen, erwidern. Der verbittertste Pessimist gewann in ihrer Gesellschaft den Glauben zurück; auf ihre Art zeigte sie, dass die Menschheit zum Guten fähig war. Dem Zynismus und der Verzweiflung mit Güte und Hoffnung Paroli bieten, das war die Aufgabe solcher Ausnahmewesen. Sie war der lebende Beweis dafür, dass es Feen tatsächlich gab, und ein jeder wollte in ihrer Gegenwart ein besserer Mensch werden.
Heute Morgen pfiffen ihr die Schausteller nach, die auf dem Place de la Libération ihre Attraktionen aufbauten. Darunter auch ein Riesenrad, so riesig wie das auf dem Foire du Trône in Paris. Belle blieb einen Augenblick stehen und sah den Männern zu, wie sie in der Höhe balancierten, um die Gondeln am Rad zu befestigen. Sie beschloss, gleich am ersten Tag der Kirmes auszuprobieren, wie die Stadt von oben aussah.
In Cholong hatte der Countdown begonnen. Nur noch vier Tage bis zu dem Fest, das wohl zu den beliebtesten in der Region gehörte. Tag und Nacht würde gefeiert werden – so begrüßte man den lang erwarteten Sommer. Neben einem Karussell mit Holzpferden und einem Autoskooter, die es überall gab, zog vor allem das Riesenrad, das sich ohne Pause drehte, Leute aus den drei benachbarten Departements an. Am Tag erinnerte die Stadt an einen Vergnügungspark, nachts an Las Vegas.
Fred hatte beschlossen, dass Jahrmarktslärm ihn deprimierte. Er wollte das Wochenende auf seiner Veranda verbringen. Hatte er doch beileibe auch Wichtigeres zu tun: Das fünfte Kapitel seines großen Werkes musste geschrieben werden. Darin ging es um die fundamentalen Themen des Lebens. Außerdem wollte er all die kleinen und großen Fragen zur Unterwelt beantworten, die einem gewöhnlichen Sterblichen auf der Zunge brannten.
Jeder Mensch hat seinen Preis. Huren gibt es nicht zu wenig, es gibt nur zu wenig Geld. Menschen kriegt man über Geld zu fassen oder über ihre geheimen Laster oder über ihren Ehrgeiz. Es ist unglaublich, wozu ein Unternehmer fähig ist, der eine Firma übernehmen will, oder ein Schauspieler, der eine bestimmte Rolle ergattern will, und wozu ein Politiker, der die Wahl gewinnen will. Ich brachte sogar einmal einen Bischof dazu, mir einen falschen Scheck auszustellen. Er wollte, dass ein Waisenhaus gebaut wurde, das seinen Namen trug. Manchmal täuscht man sich in den Menschen. Man glaubt, man hat es mit einem Ehrgeizling zu tun, dabei geht es dem Typen nur um Schweinereien. Ein Lustmolch kann sich hinter einem Ehrgeizling verstecken, ein Ehrgeizling hinter einem Lustmolch usw. Man muss nur herausfinden, bei was jemand schwach wird und wann er sich bestechen lässt. Dann weiß man, was zu tun ist. Wie viele ließen schon ihre schönen Prinzipien sausen, als ich ihnen das, wovon sie träumten, unter die Nase hielt. Ach ja, die Begierde ... Niemand kann ihr widerstehen. Meistens lässt sich mit ihr mehr erreichen als mit Drohungen. Eines Tages kam ich mit einem Typen, besser gesagt, mit einem Paar ins Geschäft, das zu allem
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