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Malchatun

Titel: Malchatun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Gespenster.
    »Ertoghrul!« riefen Männer und Frauen, »Ihn selbst wollen wir sehen, den Scheich! Ertoghrul!«
    Hin und wieder wurde auch Osmans Name gerufen. Doch die unentwegtesten seiner Freunde lagen mit ihm vor Karadschahissar. Das starkkehlige Geschrei seiner jungen Alpe fehlte, und so entbehrte der Zuruf seines Namens des stählernen Klanges.
    Jetzt stieg Dündar zu Pferde und ritt, die Herrschaft zu ergreifen, in die Menge.
    »Fort mit den Betrügern!« rief er. »Der Sohn meiner Mutter und meines Vaters soll sich zeigen! Der Diwan ist einberufen, die Stunde ist da. Wenn Ertoghrul nicht kommt, bin ich der nächste Siegel und bilde den Ring, ich, Dündar Suleimanoghlu, der Sohn des Herrn über vierzigtausend. Wenn Ertoghrul lebt, mag er kommen!«
    »Ertoghrul!«
    Nur Ertoghrul stand noch zwischen Dündar und der Macht. Aber Ertoghrul war nicht da. Nicht einmal seine alten Alpe waren zu sehen und niemand, der Dündar Widerstand hätte leisten können. Alle waren überzeugt, daß Ertoghrul krank oder nicht krank - gekommen wäre, wenn er noch lebte, und da er nicht gekommen war, erwartete jeder das Trauergeschrei aus dem Haus.
    »Denkt an die Schlacht auf der Ebene, auf dem Hodenfeld, da ich euch führte«, rief Dündar. »Ich bin Ertoghruls Bruder und Ältester des Geschlechts.«
    »Ertoghrul . . .«, erstarb ein Murmeln.
    Dündar wandte sich um und erschrak. Neben einem jungen Mann oder was er sein mochte und umgeben von den Alpen kam eine Gestalt aus dem Dunkeln geritten. Bart und Gewand, beide hell, verschmolzen zu einem einzigen Weiß, und um die Kappe wand sich ein Bund, wie er einer feierlichen Veranlassung geziemte.
    »Betrug!« keuchte Dündar. »Es ist keinen Tag her, daß ich meinen Bruder gesehen. Nie hätte er sich erheben, geschweige ein Pferd besteigen können. Man kennt diese Gaukeleien: einen Toten auf ein Pferd zu binden und in seinem Namen zu befehlen und zu handeln!«
    Doch Dündars Worte bannten das Weiße nicht. Ohne Eile rückte es näher, und mit jedem Schritt seines Pferdes breitete Stille sich aus. Ertoghrul brauchte seine Stimme nicht zu heben, als er begann.
    »Schließt den Ring«, sagte er in das Schweigen.
    »Ertoghrul! Unser Vater, unser Herr!« brauste Jubel auf. Und dieser Greis im Verlöschen, mußte Malchatun denken - und sie kannte die Nähe seines Endes sei jener Menge längst zu einem Fetisch geworden. Die Menschen würden ihm folgen, möge nun Fluch von ihm ausgehen oder Segen. - Jetzt hob er die Hand. »Schließt den Ring«, wiederholte er, »zum Diwan über Krieg oder Frieden.«
    Indes die Alten den Kreis bildeten, hielt Malchatun neben Ertoghrul. Nur noch mit ihren Gedanken konnte sie ihm helfen, mit den Strömen ihres Willens. Was ärztliche Kunst vermochte, hatte sie getan. Wenn der Diwan länger dauerte als die Wirkung ihres Mittels, sei alles umsonst gewesen, dachte sie.
    Dündar war es, als habe er eine Schlacht verloren; aber er war aus einem Geschlecht, das nach einem verlorenen Kampf den neuen zu beginnen gewohnt war.
    »Ein Kranker oder - Sterbender kann das beste Pferd zuschanden reiten«, stieß er vor.
    »Mir ist ein Kranker, der seinen Verstand beisammen hat, lieber als ein Gesunder, der dem seinen nachlaufen muß«, erwiderte Ertoghrul gelassen.
    Er konnte sich genug ähnlicher Gespräche mit seinem Bruder erinnern, und dieses werde nach Allahs Ratschluß nun wohl das letzte sein, hoffte er, während beifälliges Gemurmel ihm in die Ohren drang. Es galt seiner Antwort und war eine Absage an die Roheit von Dündars Angriff.
    Der jedoch wußte, daß er mit Liebe nicht zu rechnen habe, und machte sich wenig daraus. Ihm kam es darauf an, mit dem Eindruck der Härte den der Stärke zu erwecken, die ihn, wie er glaubte, in diesen unruhigen Zeiten dem Stamm als geeigneten Führer erscheinen lassen würde.
    »Warum sind wir hergerufen?« schrie er. »Scheut das Begehren des Scheichs so sehr das Licht, daß er die Nacht dazu wählte?«
    »Dies ist es, worüber Beschluß gefaßt werden soll«, erklärte seinem Amte gemäß Abdorrahman. »Es handelt sich um die Fehde Osmans gegen die Mazaris und darum, ob der Stamm sich ihr anschließen oder von ihr Abstand nehmen will.«
    »Ich widerspreche der Fehde!« rief Dündar, kaum daß Abdorrahman geendet.
    »Nenne deine Gründe«, sagte Ertoghrul.
    »Was geht es den Stamm an, wenn Osman seine Leute nicht zu halten vermag? Männer wollen von Männern geführt werden, von erfahrenen, bejahrten Männern. Soll der Stamm wegen

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