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Malchatun

Titel: Malchatun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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dies die Stunde, es zu tun! Und so frage ich euch: Wer ist für Osman?!«
    »Wir! Ich! Wir! Malchatun, Osman, Ertoghrul!«
    Beim Blauen Himmel und den Göttern der Jurten schwor Dündar sich zu, es dieser Malchatun einmal zu vergelten. Was menge das Weibsstück, das naseweise, hochmütige, sich in die Angelegenheiten des Stammes? Sie sei genauso verrückt wie ihr Vater. Aber natürlich, so sei diese verderbte Zeit. Solch hergelaufenes Gesindel finde Anhang bei Weibern und Männern, die auch nur Weiber seien, indes das Verdienst eines angestammten fürstlichen Mannes . . .
    »Abstimmung, Abstimmung! Krieg oder Frieden! Abstimmung.«
    Abdorrahman ritt mit Schweigen gebietender, erhobener Hand in die Mitte des Rings.
    »Abstimmung!« rief er aus. »Wer für das große Aufgebot gegen Karadschahissar ist zu Ertoghrul! Wer dagegen ist -zu Dündar!«
    Nur wenige hielten es noch mit Dündar, und diese wenigen band der Beschluß genau wie die andern: Krieg gegen Karadschahissar.
    Eine Wolke von Geschrei erhob sich. Pfeilboten herbei! Junge Männer entzündeten Fackeln, um davonzujagen. Keiner durfte ihnen ein frisches Pferd versagen, wenn das ihrige ausfiel. Hin auf die Almen des Tumanidsch! Ausgestoßen war jeder, der dem Beschluß sich versagte. Pfeilboten an die Verbündeten: türkische und turkmanische Stämme. Zündet die Feuer an auf den Bergen! Von Berg zu Berg, von Tal zu Tal: Krieg gegen Karadschahissar. Von Sögüd nach Seraidschik, von Seraidschik nach dem Ermeni - in einer halben Stunde würde der Tumanidsch es wissen.
    Mit starren Augen sah es Malchatun. Sie erwachte. Langsam stieg ihr versunkenes Ich wieder herauf. Sie überschaute, was vor ihr war und sich selbst.
    Dies fackeldurchglommene Menschengewimmel wurde ihr zu einem einzigen sich windenden, um sich schlagenden Leib. Nichts sei der einzelne, dachte sie, als eins der willenlosen Glieder dieses Leibes, an den er seine menschliche Seele verloren habe, um keine andere dafür zu gewinnen, jedenfalls keine menschliche. Er würde tun, was er als einzelner nie getan hätte. Er würde sengen und brennen und morden, und sein Gewissen würde schweigen, seine Seele wäre gestorben und nicht mehr berührt. Alles, was er tue, habe das große Tier getan.
    Und sie, sie selbst habe das Untier entfesselt oder entfesseln helfen!
    Sie entsetzte sich sehr.
    Um was geschehe das alles? Eine Stadt gewonnen oder nicht. Ein paar Weidegründe mehr - und der Gewinn wiege vielleicht nicht den unvermeidlichen Verlust auf. Und dann wieder neue Fehde, neuer Krieg, neuer Mord. Sie fühlte sich müde und von Gott verlassen, eines Lebens überdrüssig, das nur gebäre, auf daß sich das Geborene wieder verschlinge. Nicht die leiseste Spur von Allah erblickte sie in dem allen. Nur ein menschlicher Wunschtraum sei Gott, ein Traum von Gerechtigkeit und Güte, die dem Seienden in Wahrheit fehle und bis in alle Ewigkeit fehlen werde. Und da Gerechtigkeit und Güte Vollendung und somit Tod seien, so sei Gott die Todessehnsucht der Menschen.
    Einen winzigen Augenblick war Malchatun völlig von dieser Sehnsucht erfüllt, bis das Leben, dem sie gehörte, sich ihrer wieder bemächtigte. Plötzlich war es ihr ein Trost zu denken, daß alles Gedachte genauso existiere wie das, was man sehen und anfassen könne, und daß Gott demnach Wirklichkeit sei wie jeder Traum. Auch wie Osmans Gesicht von der Ulme . . .
    Aber Osmans Traum verwandelte sich in ihr. Sie erblickte ein gestautes Wasser, das bis an die höchsten Ränder seiner Ufer gestiegen war, und wurde von der Frage voll schmerzhafter Spannung ergriffen, wo der Ausbruch erfolgen werde. Ganz klar war es, daß die ersten spärlichen Rinnsale bald einen tiefen Einbruch bewirken und die hinabstürzenden Gewässer das darunterliegende Land weit überfluten würden. Und nun sah sie bereits über Sturz und Vernichtung hinaus die ausgebrochenen Wasser zu einem breiten, stetig hinfließenden Strom gebändigt. Und es war Osmans Strom, den sie sah, seine gesegneten Länder, seine Schiffe und Flotten.
    Ein Winziges mußte den Ausschlag geben. - Wenn die Zeit erfüllt sei, dachte sie, könne fast ein Nichts, ein Ritt, ein paar Worte, ein Satz das Schicksal wenden. Sei sie es, die den Ritt getan, die Worte gesprochen habe?
    Feuerbrände lohten auf. Wie ein brennendes feines Geriesel sah sie die Pfeilboten davonstürmen. Arme Hirten seien das, ohne tiefes Wissen um das eigene Tun, arme Hirten, dieser Stamm der Ertoghruler, die nach Waffen und Pferden

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