Malchatun
bei Türken und Turkmanen.
Als Wachttürme gegen Viehräuber waren sie sehr nützlich. Die bequemere Übersicht über die weidenden Herden ersparte manchen Ritt. Dadurch fanden sich die Erbauer für ihre Mühe hinreichend belohnt. Im Winter und wenn sie mit ihren Herden weiterzogen, überließen sie die Gerüste getrost der Einsamkeit und dem guten Glück. Außerhalb der Karawanenstraße zeigten die Verlassenen den spärlichen Reisenden dann immer noch die Orte an, wo Wasser zu finden war, und boten ihnen auch wohl bei Nacht oder Unwetter Schutz. Dagegen hatten die Erbauer nichts; denn dem Fremden Obdach zu gewähren, gebot schon der Islam.
Auch die Gefahr der Zerstörung durch Böswillige wurde nicht allzu hoch angeschlagen, weil solch ein Turm leichter neu zu errichten als ständig zu bewachen war. Kam es doch in grasreichen Sommern sogar vor, daß eine Reihe derartiger Sammelplätze überhaupt nicht besucht wurde. Wozu also viele Umstände mit einem Turm, der vielleicht jahrelang leer stand? Es gab deren genug. Und einen Namen hatten sie auch bekommen, obwohl niemand wußte, wer ihn aufgebracht hatte. Tschardake nannte man sie, und es wurde behauptet, daß die Einrichtung keineswegs neu sei und daß sich die Beduinen Syriens ihrer schon lange bedient haben.
Ein solcher vorgeschobener Tschardak befand sich nahe der
byzantinischen Grenze auf einem Westausläufer des Ermeni. Diesem lange nicht mehr benutzten Turm näherte sich als Vortrab eines größeren Zuges ein Dutzend Reiter.
Der Turm sei besetzt! meldete einer von ihnen dem Chalil Tschendereli, dem trotz seiner Jugend die Ehre der Führerschaft anvertraut worden war, und das Ungebührliche daran sei, fuhr der Späher fort, daß eine fremde Herde auf dem Weidegrund grase.
»Byzantiner!« grollte Chalil, und keiner seiner bärtigen und unbärtigen Gefährten war weniger erzürnt als er selbst. Grenzüberschreitungen waren das tägliche Ärgernis, und die Grenze verlief nur allzu nahe am Fluß. Wer anders als Byzantiner solle sich hier wohl mausig machen? fanden die Reiter. Wenn man derartige Übergriffe hingehen lasse, könne sich leicht ein Gewohnheitsrecht daraus ergeben.
Daß Chalil die siebzehn noch nicht erreicht hatte, lähmte seine Entschlußkraft durchaus nicht. Ohnehin wurde er von Osman als der jüngere Sohn jenes Herrn Isa von Inöni bevorzugt, der für den Flüchtigen einst Stadt und Leben eingesetzt hatte. Außerdem galt der junge Chalil nicht nur für einen der begabtesten Schüler Edebalis auf dem Gebiet des koranischen Rechtes, sondern er war auch mit der Hand der jüngeren Schwester Perids begabt worden und somit wieder seinerseits der Schwager von Osmans ehrwürdigem Schwiegervater. Eine große Laufbahn stand dem Jüngling bevor, und dieser sich würdig zu machen war dessen Bestreben.
Als Krieger wie als Rechtsbeflissener sah er seine Gelegenheit gekommen. Er dachte nicht daran, die Ankunft seines Beys abzuwarten und dem die Entscheidung zu überlassen. Auch daß Frauen bei den Friedensbrechern seien, wie man ihm berichtet hatte, störte ihn nicht.
»Sie werden unser sein«, entschied er und traf dann seine Maßnahmen wie ein Ergrauter.
Seine Leute ließ er absteigen, um auf diese Weise die Fremden ungesehen umzingeln zu können. Ein Signal auf der
Surna, der schrillen Pfeife, sollte den Befehl zum überraschenden Angriff geben. Ganz als kleiner Feldherr fühlte sich Kara Chalil . ..
Eigentlich wäre Osman am liebsten mutterseelenallein abenteuernd durch die Berge gestreift. Nicht etwa, daß er der Menschen überdrüssig geworden wäre. Im Gegenteil! Seiner Malchatun schon gar nicht, obwohl mehr als ein Dutzend Jahre in einer Ehe keine geringe Zeit sind und gemeinhin völlig ausreichen, um aus einem jungen Balzer einen behäbigen Ehemann zu machen. Doch ein behäbiger und lässiger Ehemann war Osman keineswegs geworden, und Malchatun war in der Mitte ihrer dreißiger Jahre so anziehend wie nur je.
Etwas herrscherhaft war sie allerdings immer gewesen; aber gerade das hatte ihr Osman so geneigt gemacht, und nachdem sie ihm zwei Knaben geboren hatte, Orkhan und Alaeddin, waren zu Osmans unverminderter Liebe, wie bei jedem türkischen Mann, noch die Achtung und Ehrerbietung vor der Mutter seiner Söhne getreten.
Eine zweite Frau - o nein das hätte Osman nicht gewagt. Nicht einmal eine der Frauen »unter seiner Hand«, eine der Mägde, hatte er, wie es der Koran ihm doch gestattete, sich jemals beigesellt. Gegen Malchatun kam auch der
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