Malchatun
Beistand sichere. Kaiser Alaeddin II. war der letzte, an den Osman sich hätte wenden können.
Statt seinem Vasallen Kriegshilfe zu senden, erwartete er sie vielmehr von ihm.
Was Osman nun unten um seinen Tschardak herum sich abspielen sah, beunruhigte ihn darum. Das schien mehr als ein kecker, verstohlener Überfall, ein Raub und eine Flucht zurück über die Grenze zu sein. Offenbar wollten diese Leute nicht nur Vieh, sondern auch das Land stehlen, um sich darin seßhaft zu machen und es zu behaupten. Auf einfache Streifereien nahm man keine Frauen mit. Und daß da unten Frauen sich breitgemacht hatten — um das zu wissen, brauchte man keine Augen. Das Gekreisch aus den Büschen war nicht zu überhören.
Nichts von Schonung war in Osmans Stimme, als er sich an die verharrenden Söldner wandte. Seine Ansprache war ein Schrei, der jedem Raubtrieb der Männer die Bahn freigab. »Wir wollen sie uns ansehen!« schrie er. »Die Weiber! Und laßt mir keine entwischen! Packt sie, und was einer hat, das hat er und soll er behalten! Sürün!«
»Sürün!« jubelte es zurück, und damit rasselte die stählerne Lawine zu Tal.
29
Niemand hätte zu sagen vermocht, um wie vieles leichter Kira Apollonia mit ihrem Kir David fertig werden konnte als mit ihrer einzigen Tochter Nilufer. Sie aber wußte es: Das Mädchen machte ihr viel schwerer zu schaffen als der sanfte Herr David.
Ein Kind noch, kaum aus den Windeln, hatte Nilufer, wie Tante Malchatun sie türkisch benannte, oder Nenuphar, wie sie auf griechisch getauft war, einen so erstaunlichen Eigensinn gezeigt, daß ihre geplagte Mutter oft und lange vor den Ikonen gebetet hatte. Malchatuns Freundin und Pflegeschwester war ernstlich der Meinung gewesen und war es im Grunde noch jetzt, daß der liebe Gott zur Strafe ihrer Sünden ein gutes Teil von des Bruders Manuel verderblichen Eigenschaften dem armen, unschuldigen Kinde vererbt habe. Warum - hatte sich gerade in letzter Zeit Kira Apollonia immer wieder gefragt -könne sie nicht eine Tochter haben wie Ana Tagaris, Kir Michaels sittsames und gefügiges Mädchen, das nun schon so lange auf Jarhissar zu Besuch sei? Aber Nilufer war nun einmal ganz anders geartet. Alle geweihten Kerzen halfen nichts, und es war, wie Apollonia selbst am besten hätte wissen können, völlig umsonst gewesen, die väterliche Autorität anzurufen. Die Dame hatte ihren Mann viel zu gut erzogen, als daß er nun etwa mehr vermocht hätte als sie selbst. Wenn der Ärmste in löblicher Unterwerfung unter die zielbewußtere Gattin auch wirklich einmal versucht hatte, sich ein richterliches Ansehen zu geben, war der verblendeten Tochter darüber immer pur ein Lachen angekommen. Das schlimmste aber war es dann stets, daß es nie lange dauerte, bis der Vater in das Lachen einstimmte, wodurch aus dem mahnenden Erzieher unversehens ein Spießgeselle wurde. Meist pflegten die beiden sich bei solchen Anlässen so schnell wie möglich der besorgten Mutter zu entziehen, damit Kir David seiner Pollizza hinterher vorlügen konnte, was zu hören sie nur zu geneigt war. Auf Nilufer war in solchen und anderen Fällen Verlaß. Die verriet niemanden, schon gar nicht ihren Papa.
Der Übelstand lag eben darin, daß Nilufer nicht nur die einzige Tochter, sondern überhaupt das einzige Kind ihrer Eltern und darum von Vater und Mutter hoffnungslos verzogen worden war. Die Tochter brauchte das freilich nicht zu kümmern. Im Gegensatz zu ihrer Freundin Ana aus Kir Michaels dürftigem Chirmenkia konnte sie sich leicht damit trösten, die weitaus reichste Erbin in Bithynien zu sein. Aber sie war es, weil das Geschlecht der Asanes nur noch auf zwei männlichen Augenpaaren stand, auf dem des Salmenikos und dem von Nilufers Vater David. Von den Asanes gesehen, war Nilufers Eigensinn also mehr als ein kleines Ärgernis. Er stellte den Bestand des alten Hauses in Frage.
Salmenikos war noch immer unvermählt. Nichts konnte ihm demnach näherliegen, als durch eine Ehe mit seiner Nichte Nilufer den gesamten Besitz des Hauses endgültig in seiner Hand zu vereinigen und zugleich auch mit Gottes und der lieben Heiligen Beistand die Fortpflanzung des Geschlechtes ehrenvoll und geziemend zu bewirken.
Jeder vernünftige Mensch sah das ein, und alle waren in dieser Hinsicht vernünftig leider mit der einen Ausnahme: Nilufer. Hunderte von Malen hatte Kira Apollonia ihrer Tochter die Vorteile, ja die Notwendigkeit einer solchen Verbindung vorgehalten - mit sanften Worten, mit Heftigkeit
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