Malchatun
jedoch verschanzte sie sich um so fester gegen jede Überrumpelung ihrer Gefühle. »Deine Pollizza wollte noch zu dir«, erhellte er nämlich etwas zu betont seine Wünsche; »aber ich hab’ ihr das ausgeredet, weißt du?«
Es sei schrecklich mit ihm, dachte Malchatun, aber sie könne nicht anders! Es sei klar, er habe ihr Apollonia erspart, um keine Stunde an ein drittes abgeben zu müssen. Nur zu sehr seien die wenigen Nächte ihres bisherigen Zusammenseins mit Plänen und Sorgen belastet gewesen, und nun . . .
Sie fühlte, wie gefährlich es sei, wenn sie sich auch weiterhin mehr bewahren wolle, als Osman lieb sein könne. Das Glück sei nicht zu halten? Wie falsch! Es sei zu halten, es sei herbeizuziehen, zu wünschen, herbeizubeten, und ... es sei zu verscheuchen. Sie selbst sei im Begriffe, das zu tun.
Lässig hatte Osman sein Oberkleid abgelegt, um sich zu entgürten.
Sie fühlte die Ströme von Osmans Verlangen auf ihrer Haut. Aber nicht diese Ströme und nicht ihn fürchtete sie, sondern sich selbst und den Augenblick, da sie lebenslang gehegte Hemmungen endgültig abwerfen müsse. Ihr war, als solle sie aus einem unergründlichen Becken siedenden Metalles den Zapfen lassen, ohne dessen gewiß zu sein, ob dein glühenden Chaos eine lebenerhöhende neue Form oder nur Brand, Vernichtung und zuletzt Ekel entsteigen werde. Dabei lockte das Chaos, dem sie so lange widerstanden, fast unwiderstehlich.
Selbstaufgabe und Selbstbehauptung hielten sich die Waage. Nur ein letzter, winziger Rest ihres Denkens blieb klar, und der war dieser: sich Osmans vorher ganz zu versichern! Daran klammerte sie sich. Denn damit . . .
»Höre, Osman«, trotzte sie ohne Grund, »ich bin deine Frau, und ich begehre, deine einzige zu sein. Solltest du dich jemals einer zweiten geneigt zeigen . . .«
»Aber Malchatun! Ist heute der Tag . . .?«
»Mit oder ohne geistlichen Segen«, fuhr sie unerbittlich fort, »dann verlange ich den Scheidebrief.«
Wie ein Überfall wirkten diese Worte. Osman jedoch konnte selbst ein Überfall nicht verwirren. Und es sei schändlich, äußerte er, wie anhänglich so ein schlechter Ruf sei. Oder ob sie ihn etwa untreu gefunden habe?
»Nein.«
»Es gibt genug schlechte Menschen!« versuchte er sie.
»Es hat dich niemand verleumdet.«
»Ich sagte es ja: mein schlechter Ruf!« wiederholte er mit einem tiefen, aber etwas verspielten Seufzer. »Wenn man den erst einmal weghat, kann man ein Hanife, ein engelhaftes Wesen sein - es nützt einem gar nichts. Und was war? Leichtfertig war ich mit den Worten -.«
»Ich fand deine Hände auch recht geschäftig, als du Perid zu dir in den Sattel hobst, damals, als sie den Stier ritt«, unterbrach ihn ihr eifersüchtiger Zorn, »ganz fest drücktest du sie an dich!«
»Aber Malchatun! Perid ist die Gattin deines Vaters!« erinnerte er sie. »Perid sah nur Edebali. Er ist ein außerordentlicher Mann, mein Lehrer.«
»Wenn Edebali außergewöhnlich ist«, lenkte sie, nun doch etwas beschämt, ein, »so ist er dafür auch der Schwiegervater eines Fürsten.«
»Der Vater einer Fürstin«, gab er die Schmeichelei artig zurück.
»Nur solange du dich an das hältst, was ich dir eben sagte.«
»Oh, Malchatun«, überwältigte es ihn nun doch, »wenn ich nur daran denke, daß du mich verlassen könntest . . .«
Aber auch in ihr war sie immer stärker geworden, der allzu irdischen Gewalten unwiderstehliche Macht.
»Ich meine . . .«, stammelte sie. »Ach, Osman . . .«
»Vieles werden wir noch erleben, Malchatun, du meine Frau«, warb Osman mehr noch mit den dunklen Tönen seiner Stimme als mit Worten. »Immer werde ich stolz auf dich sein, wie ich es an unserem Hochzeitstag war. Mir scheint er erst heute zu sein, der Tag unserer wirklichen Hochzeit . . . Malchatun . . .« »Ja . . .«, sagte sic, und mit diesem Ja wandte sie sich ihm endgültig zu.
Schwarz behaart und braun stand er vor ihr, der nichts entging und die alles an ihm bejahte. Und als sie sich neigen wollte, die Lichter zu löschen, konnte er sie in seine Arme nehmen.
»Verbirg dich mir nicht mehr«, bat er, »du meiner Augen Freude.«
»Nein«, sagte sie, und ihr Nein war ein Ja zu ihm, zu sich und zu seiner und ihrer Lust.
VIERTES BUCH
28
Es war einmal Malchatuns Rat gewesen, einen hölzernen Luginsland gegen die Veste Ainegöl des grimmigen Mattäos Botoniates zu errichten, und nun - nach fast anderthalb Jahrzehnten - fand man solche Türme allerorten in den osmanischen Weidegebieten,
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