Malchatun
habe, um zu einer höchst überflüssigen Erkenntnis in bezug auf ihre Person zu gelangen, so sei das auch jetzt nur geschehen, weil er sie gerne forthaben wolle, damit sie nicht sehe und höre, seine Blicke für Perid nicht sehe und deren kindische Geschwätzigkeit nicht höre. Ihre, Malchatuns, Augen wolle Edebali forthaben, ihr Lächeln solle weg.
So sehr war sie gewohnt, sich ihm frauenhaft, ja mütterlich überlegen zu fühlen, daß sie bei aller Liebe und Ehrfurcht für ihn seine väterlichen Ansprüche als Vermessenheit empfand. Geben, empörte siesich, sie einem Manne geben? Sei sie denn überhaupt »unter seiner Hand«? fragte sie sich. Dem Koran nach sei sie es, mußte sie zugeben. Aber sonst!
»Wenn das je deine Aufgabe war«, meinte sie schroffer, als sie mit ihrem Vater zu reden pflegte, »so ist sie es seit Jahren nicht mehr.«
»Du fühlst dich sehr stark, mein Kind.«
»Kann ein Baum wieder ein Strauch werden, Vater?« lenkte sieein wenig ein.
Edebali kam ihr ebenfalls entgegen. Es war eine Bekundung von Achtung für die Tochter, daß der berühmte Ausleger des Korans nicht noch einmal auf seine Pflichten, geschweige denn auf seine gesetzliche Autorität verwies.
»Wir sollten eine Ordnung nicht aufgeben«, meinte er nur, »che wir uns einer anderen versichert haben.«
»Wir sollten uns auf eine Ordnung nur berufen«, entgegnete Malchatun unverweilt, »wenn eine Unordnung das nötig macht.«
Langsam ließ der Scheich seine dünnen Finger durch den Bart gleiten, eine Geste, die ihm eigen war, wenn ihn die Antwort eines Schülers befriedigte.
»Entspricht es Allahs Ordnung, daß eine Frau kinderlos bleibe und ohne Gatten?« versuchte er sie dennoch von neuem. »Meinst du nicht, daß du dich deinem Schicksal entziehst, Kamerije?«
Einer Antwort brauchte sie nicht erst lange nachzusinnen.
»Ich habe Menschen das Leben erhalten«, sagte Malchatun, »Allahs Geschöpfe wie die, denen ich, wenn es Sein Wille gewesen wäre, das Leben hätte geben können. Das erste ist Gewißheit: Die Menschen, die ich heilte, gehen und sprechen, wir können sie anfassen und fühlen - vom zweiten wissen wir nichts.«
»Du bist klug«, räumte der Vater ihr ein, ohne Malchatun damit das Gefühl eines Sieges zu geben. Auch fuhr er, wobei er sie nur von der Seite ansah, sogleich fort: »Es wird für deinen Vetter nicht leicht sein, mit dir zu streiten.«
Womit es dann gesagt war.
»Der Vetter also«, stellte Malchatun mit vernichtender Gleichgültigkeit fest.
»Weißt du etwa einen andern Koreischiten, den wir kennen?«
»Muß er ein Koreischit sein?« lehnte Malchatun dieses Argument ab. »Meine Mutter war keine Koreischitin.«
Ehe ihr Vater sich zu einer Antwort entschloß, schwieg er eine Weile. »Als Hakim, der du bist«, erklärte er dann, »sprichst du von >gewiß< und >ungewiß<, von >anfassen<, >sprechen< und >fühlen<. Vergiß nicht die Seele darüber und nicht, daß der von Allah selbst als edelster ausgewählte Stamm eine Seele hat, die dem Osten und Westen durch die Jahrhunderte die Kalifen gab, eine Seele, die sich nicht durch Vermischung mit Niedrigergeborenen verflüchtigen sollte. Deine Mutter aber ist, des bin ich gewiß, von Gott des Paradieses gewürdigt worden. Von ihr, ich bitte dich, Kind, sprich nicht, wenn du von anderen Gestorbenen oder Lebenden redest. Sie war meine mir Unwürdigem von Allah verliehene Gattin. Ihr Andenken ist unvergleichlich. Uns aber, die sie hier zurückließ, bleibt die göttliche Ordnung, und die ist für eine Koreischitin wie du die Tradition ihrer Familie.«
Weniger durch väterliche Logik als durch Rührung bezwungen, schwieg nun auch Malchatun. Womit hätte sie, die Tochter, einer so tiefen, ihrer Mutter geweihten Ehrfurcht begegnen sollen? Daß sie diese Mutter nie gekannt hatte, verschloß ihr um so mehr den Mund.
»Es gibt keinen edleren Stamm als den unsrigen, und nicht nur, weil aus ihm der Prophet kam«, konnte Edebali wiederholen, »das gilt von den Rechtgläubigen. Von den Unbeschnittenen möchte ich nicht reden - es sei denn . . .«, dehnte er mahnend die Silben, ». . . du zwängest mich.«
Malchatun erschrak. Weit mehr, als sie sich vor dem Derwisch Kumral geschämt hatte, würde sie sich vor ihrem Vater schämen. Bis jetzt habe Edebali noch niemals in dieser Weise mit ihr über Ungläubige gesprochen, dachte sie, und bebte davor, daß er vielleicht alles wisse, was grade vor ihm zu verbergen sie sich stets so große Mühe gegeben habe.
»Was
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