Malchatun
Osman
»Er wird es dir bestätigen, und aus freiem Willen. Wahrlich, ich habe nicht vergessen, was er mir tat, und auch nicht, wie du mich schütztest, mein Osman; aber statt einen Feind zu vernichten, scheint es mir nützlicher, ihn zum Freund zu gewinnen. Und was hätte Michael außer seiner Freundschaft zu bieten? Für ein Lösegeld ist er zu arm.«
»Der Spitzbart muß sein Bündnis mit Kalanos Mazaris lösen«, verlangte der alte Abdorrahmanghasi.
Ihm war es um einen Mazaris mehr als um einen Manuel oder Matthäos Botoniates zu tun. Vor einem Menschenalter hatte Ertoghrul Karadschahissar, die Schwarzburg, erobert. Schon hatte er seine Hand nach Katahie und Kermian ausstrecken können, ganz nahe war er einer fürstlichen Herrschaft gewesen. Doch die Mazaris hatten ihre Burg und ihre Stadt wiedergewonnen, die Pforte hatte sie in ihrem Besitz bestätigt und Ertoghrul mit Sögüd und Seraidschik nur sehr dürftig abgefunden. Was fast schon Gewißheit gewesen war, hatte sich als ein Traum erwiesen. Die beiden Alten, Abdorrahman und Akdscha Chodscha, hatten ihn mitgeträumt und träumten ihn noch heute wie der ganze Stamm. An den Lagerfeuern der Ertoghruler wurden Lieder von Karadschahissar gesungen. Keine Burg in Bithynien bedeutete ihnen so viel, und keine Eroberung würde Osman so sicher zum Herrn des Stammes machen wie die von Karadschahissar am Pursuk.
»Noch liegt ihr nicht vor Karadschahissar«, stieß Malchatun vor. Sie erriet die Gedanken der Männer und wußte, was sie damit sagte.
»In Ikonium und auf den Koran hat mein Vater den Frieden beschworen«, war Osmans Antwort, »ich werde den Frieden nicht brechen, wenn die Mazaris es nicht tun.«
»Und Kalanos?« fragte Malchatun.
»Wenn er Frieden bietet, soll er ihn haben.«
»Und wenn er ihn nicht bietet . . .«
». . . kann Michael in meinem Frieden bleiben, falls er es begehrt. Es geht um Koladscha und gegen Botoniates.«
Ertoghrul selbst hätte nicht anders gesprochen, aber seine beiden Alpe blickten düster, gerade weil sie weder Ghundus noch Sarujati höher schätzten als Osman. Sie würden also in die Grube fahren und das Wappen des Stammes, den halben Mond, nicht über Karadschahissar gesehen haben.
Es war Stille im Raum. Von Edebali war noch kein Wort gefallen.
»Du hast wohlgesprochen, mein Sohn«, sagte er nun und schloß damit die Unterhaltung ab, »dem Redlichen hilft Allah.«
»Wie aber steht es um unsern Anschlag auf Koladscha, ehrwürdiger Vater, mein Lehrer?« fragte Osman, nun wieder der bescheidene junge Mann, als der er sich gern zu zeigen pflegte. »Uns kam Nachricht über Koladscha.«
»Von wem, mein Sohn?«
»Von christlicher Seite. Es war ein Ruf der Unterdrückten um Hilfe.« Und dann erzählte er.
Nach dem byzantinischen Koladscha hatten sich ehemals beim Vorrücken der Seldschuken Einwohner aus Tarakli und Modreni geflüchtet und dort ihr Gewerbe, die einen als Kammmacher — die anderen als Nadelmacher, mit ebensoviel Glück wie in der alten Heimat fortgesetzt. Jetzt standen sie unter der Botmäßigkeit des Matthäos Botoniates, der ungeachtet ihrer verbrieften Rechte schon seit längerem begonnen hatte, sie seinen Leibeigenen gleichzustellen. Ihre Heiraten zu erlauben oder zu verbieten, maßte er sich an, ihre jungen Leute - Bräute darunter und Hochzeiter - verlangte er zu seinem Dienst, und Flüchtige, deren er hatte habhaft werden können, waren ge-
peitscht worden. Niemand fühlte sich mehr seines Leibes und Lebens sicher, besonders in letzter Zeit nicht, da der Rest von Manuels versprengten Turkopolen sich in Ainegöl gesammelt hatte.
»Einen Ort nehmen ist schwer, ihn zu halten ist schwerer«, meinte Edebali bedächtig.
»Koladscha ist nicht zu halten«, gab Osman ohne weiteres zu. »Auch wollen die Leute ihre Häuser verlassen und erbitten nur Geleit und Aufnahme in Sögüd oder Seraidschik.«
»Und was sagt Ertoghrul?« fragte Edebali.
»Für den Schutz, den der Stamm gewähren müßte, hätte er Gewinn. Die Kämme, Löffel und Nadeln derer von Koladscha sind selbst in Konstantinopel geschätzt«, erwiderte Osman. »Aber die Leute sind Christen. Um ihres Glaubens willen verließen ihre Voreltern Tarakli und Modreni. Ertoghrul fragt unsern Lehrer, meinen Herrn, ob es wohlgetan sei, sie, ohne daß sie sich zu Allah bekennen, unter uns anzusiedeln?«
Edebali brauchte nicht weiter zu fragen, um zu wissen, daß Ertoghrul und seinen Alten die zu erwartenden Steuern der Flüchtlinge willkommen wären, daß
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