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Malchatun

Titel: Malchatun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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»nur daß beide Feile die Gelegenheit wahrnehmen müssen, wenn Friede bleiben soll.«
    »Das kennt man«, erbitterte sich Malchatun. »Einer schiebt dem andern die Schuld zu; aber das ändert nichts daran, daß die Menschen sterben.«
    »Ewig lebt keiner«, warf Osman hin.
    »Aber der Tod kommt von selbst. Was ruft ihr ihn vor der Zeit!«
    »Von uns kommt kein Krieg«, beharrte er. »Die Hanum kann ganz beruhigt sein«, schloß er dann mit abschiednehmender Verneigung und machte sich, um seine Fassung nicht zu verlieren, groß und stark und doch wie auf Katzensohlen davon.
    Daß es für Osman die höchste Zeit gewesen war, sah Malchatun nicht. Auch konnte sie sich nicht von dem Gefühl befreien, daß es trotz allem zu Kämpfen kommen werde und daß da einer gegangen sei, den sie nicht Wiedersehen werde.
    Osman nicht Wiedersehen? Auf irgendeine Weise gehöre er zu ihr. Ihn nicht Wiedersehen?
    Sie faßte es nicht.

17
    Mehr als zwei Wochen waren vergangen, doch die Erinnerung an Osmans Abschied wollte Malchatun nicht verlassen. Daß der Tag oder vermutlich die Nacht des geplanten Auszuges aus Koladscha, wenn er überhaupt glücken sollte, ein Geheimnis bleiben müsse, sagte sie sich selbst. Ganz abgesehen von den Ansprüchen des Botoniates auf die Untertänigkeit der Koladschaner werde er auf keinen Fall die gewerbfleißige Bevölkerung eines ganzen Fleckens gutwillig davongehen lassen. Nicht zu Unrecht befürchtete sieKämpfe. Die Ereignisse vor und während ihrer Flucht nach Inöni hatten sie aufgeschreckt.
    Manuels Auftreten sei mehr als eine der alltäglichen kleinen Grenzplänkeleien gewesen, dachte sie, und habe tiefere Ursachen gehabt. Ein neuer Zusammenstoß zwischen Mohammedanern und Christen könne leicht einen Brand entfesseln, der die ganze Landschaft und sie alle ergreifen würde. Noch nie hatte sie so entschieden Partei ergriffen. In ihrer wachsenden Unruhe war es ihr nicht mehr wie vor kurzem noch möglich, an Osman und dessen Gefolgsleute wie an Händelsucher zu denken. Immer tiefer durchdrang es sie, wie doch die Ertoghruler für sie eingetreten seien und Osman sie errettet habe. Sie hätte viel um eine Nachricht gegeben, aber ... es war keine gekommen.
    Wiederum war es Nacht, als Edebali, von der Tochter seinen Studien entrissen, mit ihr vor das Haus trat.
    Als eine silberumrandete, ausgezackte schwarze Wand standen vor dem klaren Himmel die Berge - bald würden Wiesen und Bäume im Licht des spät heraulkommenden Mondes liegen. Längst war der abendliche Wind erloschen. Alles schwieg und war ohne Bewegung. Vater und Tochter schwiegen, Mädchen und Mann, jedes in die eigenen Gedanken versenkt.
    Aber gerade Flucht vor diesen Gedanken hatte Malchatun zum Vater getrieben, und nun verleugnete sie jede Schicklichkeit, indem sie begann.
    »Hast du Nachrichten erhalten?« fragte sie.
    »Nachrichten? Worüber?«
    Malchatun zürnte der weitabgewandten Gelassenheit der Frage. Lieblos erschien sie ihr.
    »Über Osman natürlich . . .«, sagte sie, ». . . ich meine die Ertoghruler . . .«
    »Die Ertoghruler?« prüfte Edebali das Wort voll Bedacht, »die Ertoghruler weiden ihr Vieh auf den Almen. Was sollte es über sie zu berichten geben? Auch von Osman vernahm ich nichts.«
    »Du gabst ihm ein Fetwa«, stieß Malchatun vor.
    »Er wird danach handeln, sobald er vermag.«
    »Und sonst kümmert er dich nicht?«
    »Die Tat, Tochter, gehört ihm, nicht mir. Auch dachte ich an dich und nicht an den Ertoghruler Osman«, verließ er selbstherrlich ein Gespräch, das ihm erschöpft schien, um dann, allerdings erst nach einer Weile, fortzufahren: »Mich dünkt nämlich«, sagte er, »ich sei zu tadeln, mein Kind. Jawohl, zu tadeln«, wiederholte er auf den Blick ihres Erstaunens. »Seit du Osman abwiesest, ist Zeit genug verstrichen. Längst hätte ich dich einem anderen Manne geben müssen.«
    Er hätte nichts Schlimmeres zu Malchatun sagen können.
    Freilich: Wenn Edebali nur ein wenig unsicherer gewesen wäre, so hätte sie ihn gerührt beschwichtigt. Von ihr aber, fand sic, sei im Grunde gar nicht die Rede gewesen, der große Scheich Edebali habe sich ganz mit der unerträglichen Sicherheit jedes beliebigen Mannes gegenüber einer beliebigen Tochter benommen, und so unterdrückte sie auch nur noch mit Mühe die allzu rasche Antwort, daß der Vater zu alt sei und ihrer nicht entraten könne . . . Aber das sei es ja eben, drängte es sich ihr auf, der Vater sei keineswegs zu alt. Und wenn er zehn Jahre gebraucht

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