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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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durch Deutschland reiste und in den Feuilletons das Gefecht übers Urheberrecht entbrannte, sekundiert von den Presseerklärungen der Schriftstellerverbände, schloss ich mich zur Rettung meines Seelenheils dem Stuttgarter Kreuzzug an. Am 25. August biss der Bagger das erste Stück aus dem Nordflügel. Schreiend, weinend, trillerpfeifend und Vuvuzela trötend legte ich mit Zehntausenden aufgebrachter Bürger Gleise, Innenstadt und das Weinfest lahm, besetz te das Bahnhofsdach und wurde vom SEK abgeräumt. »Wir sind das Volk, wir sind das Geld!« Das ist der Unterschied zwischen Schwaben und Ossis.
    Einen Tag, bevor am ersten Oktober im Schlossgarten die ersten alten Platanen gefällt wurden, schlug die Polizei auf Schülerinnen und Schüler ein, versprühte Pfefferspray und spülte mit Wasserwerfern nach. Kinder und Polizisten handelten, wie es schien, gleichermaßen ohne Erinnerung an Brokdorf, Studentenrevolten und die Wirkung von Polizeigewalt. Wer sich provozieren lässt, hat schon verloren. Nach wochenlangen Demonstrationen wankte schließlich die Landesregierung und stürzte. In Baden-Württemberg wurde die parlamentarische Demokratie zugunsten direkter Bürgerentscheide abgeschafft und das unumkehrbare Bahnprojekt gestoppt. Dann machten wir uns daran, alles andere umzukehren, was gegen den Willen der Bürger gebaut worden war: Die Messehallen auf den Fildern wurden abgerissen, die Liederhalle wurde gesprengt und schließlich der Fernsehturm umgesägt. Aber das ist eine andere Geschichte.
    In Wien brannte unterdessen nach einer von der österreichischen Walfisch-Filiale organisierten Lesung von Lola ein ganzes Festzelt samt Büchertischen ab, und Lola simste mir: »need U«. Denn Martin Cäsar hatte sie zu seiner Talkshow Cäsar eingeladen. Und darauf konnte sie sich echt was einbilden. Bei Cäsar auf dem grünen Sofa im Studio Baden-Baden hatten schon der Dalai La ma, Helmut Kohl, Uschi Glas und Jogi Löw gesessen.
    Aber Lola wollte nicht.
    »Dann lass es!«, simste ich ihr zurück.
    Daraufhin rief mich Michel Schrader an und eröffnete mir: »Meine Tochter hat zur Bedingung gestellt, dass Sie sie hinfahren und sonst niemand. Sie meint, nur Sie kön nen Sie beschützen. Die Sache in Wien hat sie mehr erschüttert, als sie zugeben will.«
    »Lola wird über kurz oder lang erschossen werden«, sagte ich. »Und ich werde es nicht verhindern können. Das ist Ihnen hoffentlich klar.«
    »Was soll ich denn machen? Ich kann sie doch nicht einsperren! Das würde sie auch gar nicht wollen.«
    »Lassen Sie sich eine neue Identität verpassen und tauchen Sie unter.«
    Der Mann schnaufte. »Wie stellen Sie sich das vor? Ich habe hier meine Arbeit, die mir Spaß macht, meine Frau ist Schauspielerin. Soll sie alles aufgeben? Das wird sie niemals tun. Und ob dieser Schütze es wirklich auf Lola abgesehen hat, ist keineswegs ausgemacht. Die Polizei geht von einem Täter im Umfeld von Durs Ursprung aus. Und mit dem haben wir doch gar nichts zu tun.«
    In meinem Hirn knackte ein kleiner Schalter.
    »Also gut, ich fahre Lola nach Baden-Baden«, sagte ich, um ihn loszuwerden und dem Klick in meinem Hirn nachzugehen.
    Aber Richard fehlte mir. Wäre ich eine Schriftstellerin gewesen, hätte ich ihn zu meiner Muse ernannt. Ich brauchte sein »Unsinn, Lisa! Das kann nicht sein. Das geht nicht. Das ist unmöglich«, um aus dem Tran innerer Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit zu finden und mich in Grenzregionen vorzuschlagen. Doch er war weg. Er rief nicht an. Er kam nicht und schloss nicht meine Wohnungstür von außen auf.
    Diesmal war er wirklich beleidigt. Arroganter Affe! Depp! Und mal ehrlich, was hatten wir schon wirklich gemeinsam? Als echter Konservativer war er natürlich auch für den neuen Tiefbahnhof, gegen den wir als echte Linke leidenschaftlich kämpften. Warum sind wir Lin ken, Naturschützer und Revolutionäre die Bewahrer, und wa rum lieben die Konservativen den technischen Fortschritt so? Kann mir das mal einer erklären? Richard ist gerade nicht da, um das zu tun.
    Ich scrollte meine Protokolle durch. Meine Gedanken schweiften ab und verirrten sich in der Geschichte, die mir Richard von seiner Reise mit Marie zur Anti-Schah-Demonstration erzählt hatte. Warum hatte er sich zufrieden gegeben mit den Erklärungen, die Marie auf dem Heimflug über das Buch abgegeben hatte? Hatte Richard wirklich die geheime Botschaft der doppelt geschlagenen Buchstaben nicht bemerkt? Und wer sollte Marie das von ihr gebundene Buch

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