Malefizkrott
Spelunke im Fernsehen eine Romanze über einen Schriftsteller an, der erst ein rotes Geländer strich, weil er wegen des Todes der Frau, für die er seinen Roman hatte schreiben wollen, in eine Schaffenskrise geraten war, was den Verlagschef zu panischen Reaktionen und der Entsendung einer Psychologin veranlasste, und der sich schließlich an einer alten Reiseschreibmaschine und mit hölzernem Zettelkasten neben sich zurück ins Schriftstellerleben klapperte. Einer neuen Frau zuliebe.
Lola lachte sich halbtot, und wir begaben uns zu Wasserspielen unter die Brause in die Duschwanne.
In den folgenden Tagen stritt Lola sich am Telefon mit ihrem Vater herum, der sie drängte zurückzukommen, weil Presse und Medien auf sie warteten. Sie verlangte, in Ruhe gelassen zu werden, sie sei alt genug und wisse, was sie wolle.
Tagelang ging der Regen über dem See und den Badeorten nieder. Boote kenterten im Sturm. Das Zeppelinmuseum lud Lola spontan zu einer Lesung mit Mikro ein, zu der sich, weil wir den Termin facebookten und twitterten, auf dem Platz zwischen Bahnhof, Museum und Medienhaus eine Unmenge Menschen einfanden. Ich schwitzte Blut und Wasser und dachte an Richards zornige Warnung. Aber es geschah nichts weiter, als dass der Bücher tisch von Ravensbuch bei den ersten Regentropfen explodierte und dann lustig niederbrannte.
Zum Glück kam niemand zu Schaden.
Wir – das heißt Lola und ihr Buch – waren dann erneut in allen Zeitungen. Die Leute erkannten sie auf der Stra ße, und ich befand, dass es an der Zeit sei, den Rückzug an zutreten.
Auf dem Lindauer Bahnhof steckte im Zeitungshalter des Kiosks die Samstagsausgabe des Stuttgarter Anzei gers mit der Titelschlagzeile: »Alles abgeschrieben?« Darun ter ein paar Zeilen, die auf einen Bericht und ein Interview mit Matthias Kern ins Feuilleton verwiesen. Dort nahm die Demontage des Fräuleinwunders eine ganze Seite ein.
Wir bestiegen den ersten Zug, der Lola, mich und Ci pión zum Umschlagplatz Aulendorf bringen würde. Erst als wir saßen, zeigte ich Lola die Zeitung.
»Damit dürfte die Jury des Literaturpreises für den besten Debütroman nunmehr ein ernstes Problem bekommen«, resümierte Rudolf Wagenburg genüsslich.
»Haben die denn gar nix kapiert?«, schrie Lola. »Ich habe nie behauptet, ich hätte das alles selber erlebt. Schlimm wär’s! Was sind das für weltfremde Träumer? Noch nie was von Heißenbüttel gehört, von Max Bense …«
Ich auch nicht, nur gelesen.
»… von Strukturalismus? Ich bin siebzehn! Was sind das für Romantiker die immer noch meinen, ein Buch müsse das Leben selber widerspiegeln? Das ist Kunst, meine Herren!«
Bei Ulm fing sie an zu weinen, in ohnmächtiger Wut, bitter enttäuscht und tief beschämt.
27
Nun kam der Verlag mit dem Nachdrucken gar nicht mehr hinterher. Julius Hezel sah man nicht anders als beseligt lächelnd. »Herr Kern kann uns gern verklagen!«, pflegte er den Journalisten von Presse, Funk und Fernse hen zu erklären. »Dem sehen wir mit Gelassenheit entgegen.«
Erst drosch das Feuilleton auf die schäbige Betrügerin ein, dann prügelten sich die Rezensenten gegenseitig und schließlich klügelten alle, die sich bisher noch nicht geäußert hatten, der Literaturbetrieb sei seinen Altherrenfantasien aufgesessen, nämlich die Erlösung aus der literarischen Langeweile auf ein junges Mädchen zu projizieren. Eine taz-Autorin spottete: »Wundern wir uns? Das Fräuleinwunder ist minderjährig, hat ein schlaues Köpfchen und verspricht eine atemberaubende Versiertheit in allen denkbaren Sexpraktiken. Und nicht zuletzt ihr Name dürfte einige Herren zu Lolita-Fantasien verführt haben, wenngleich die ursprüngliche Lolita Dolores hieß. Ist es Zufall, dass auch dieses – allerdings meisterhafte – Sittengemälde der fünfziger Jahre mit unzähligen Zitaten und Halbzitaten arbeitete?«
Lola bekam Schmäh- und Drohmails und wurde offiziell unter Polizeischutz gestellt. In den letzten beiden Wochen ihrer Sommerferien war ihr Kalender voll mit Leseterminen: Berlin, Hamburg, Köln, sogar Wien. Aber ich war nicht dabei. Denn Michel Schrader hatte mich gleich nach unserer Rückkehr angerufen und mitgeteilt: »Sie werden verstehen, dass wir unter diesen Umständen auf Ihre Dienste verzichten müssen. Ihre Reiseauslagen bekommen Sie natürlich erstattet. Schicken Sie mir eine Rechnung.«
Verglichen damit hätte mir ein feuchter Händedruck geschmeichelt.
Während Lola als Lena der Literatur
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