Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
Allerdings war sie telefonisch nicht erreichbar. Ich schickte ihr eine SMS aufs Handy und blätterte in Schloss und Fabrik. Es war nicht befallen, jedenfalls nicht von Buchläusen, allerdings von diesem Einschussloch und den eigentlich sehr auffälligen Fremdtexten.
    »Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung zu vergießen. Ab heute geht er in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Umkleidekabine an. Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genauso wenig wie beim Überschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der Marines nach China. Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben: Burn, warehouse, burn!«
    Damals Vietnam, heute Irak und Afghanistan. Anlass gab es immer, was anzuzünden, die Amerikaner waren immer irgendwo. Nur waren die Texte damals geschliffener gewesen. Man hatte sie mit Schreibmaschine ge tippt, und in der Schule hatten wir noch bis weit in die Siebziger vom Lehrer seltsam gilbe Blätter mit bläulicher Schrift bekommen, die nach Spiritus rochen, Umdrucke, Matrizen oder Hektografien genannt. Die Flugblätter hatten ebenfalls einen Blaustich, aber das Papier war anders als unsere Hektografien damals. Waren sie irgendwie kopiert? Und wie? Und war das wichtig? Das Schriftbild war fremdartig, ganz anders als Computertexte, enger, löchriger. Und immer wieder gab es Buchstaben, denen etwas zugestoßen war, was sie breiig machte. Vermutlich konnte man anhand der Schrifttype die Schreibmaschine identifizieren, mit der dieser Text Ende der sechziger Jahre getippt worden war. Aber wer kannte sich heute noch mit so was aus?
    Mein Hirn markierte Schrifttype. Ich grübelte. Ach ja, richtig: Durs Ursprung hatte mir einen Namen genannt, kurz bevor er  erschossen wurde. »Zeigt das Buch mal Hm-hm-hm.« Es war der Name einer Frau gewesen, die einen sechsten Sinn für das Materielle von Büchern ha ben sollte. Ich kam nicht drauf. Fehler 404. Und ob das jetzt die drängendste Frage war, war auch die Frage.
    Ich legte Schloss und Fabrik weg, tippte »Bücher« und »Feuer« in die Google-Suchmaschine und wurde zuverlässig fündig. Im vergangenen Herbst war eine Buchhandlung in Esslingen ausgebrannt, wenige Tage später hatte es in der Stadtbibliothek von Kirchheim/Teck ein Feuer gegeben, ohne großen Schaden anzurichten. Die Polizei hatte zu Dummheiten aufgelegte Jugendliche in Verdacht gehabt. Im November letzten Jahres war ein Brand in der Bücherei von Lonsee ausgebrochen. Das lag an der Geislinger Steige zur Ostalb hinauf. Als Brandherd hatte die Feuerwehr eine defekte Kaffeemaschine ausgemacht. Schaden gering. In der neuen Buchhandlung Balingen hatte es ein Feuer in der Ladentoilette gegeben und – sieh mal an – auch in Stuttgart hatte es in einem Buchladen geflackert, und zwar in der Ostend-Buchhandlung. Dort hatten die Feuerlöscher allerdings besser funktioniert als bei Ursprung, und der Brand war gelöscht gewesen, ehe die Feuerwehr eintraf. Und dann natürlich der Großbrand in der historischen Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar im September 2004.
    Ich rief meine Lieblingsarchivarin beim Stuttgarter Anzeiger , Karin Becker, an und schilderte ihr meinen Verdacht. Sie war sofort Feuer und Flamme. »Hähä, was für Worte in diesem Zusammenhang!«
    Dann wurde es Zeit, mich fertig zu machen. Eine Stunde brauchte ich, um mich mit der frisch erworbenen Überwachungstechnik auszustatten. Als Träger für den Kugelschreiber mit Kamera kamen nur die Anglerweste und der graue Herrenanzug infrage, denn nur sie hatten Brusttaschen, abgesehen von der Motorradjacke, aber darin wäre ich bei der Hitze gestorben. Bodyguards wa ren, wie ich aus dem Fernsehen wusste, stets gut gekleidet. Also entschied ich mich für den Anzug mit Hemd und Schlips. Darunter ein kleines Mikro, dazu die Armbanduhr mit Kamera. Nur die Tasche mit der Kamera im rückwärtigen Teil des Schulterbands passte nicht so recht dazu.
    Um fünf Uhr fuhr ich im Österfeldgewann vor und stieg aus. Lola Schrader kam, bevor ich klingeln konnte, die fünf Stufen zum Gartentor herab. Sie trug Schwarz-Weiß und lange Ärmel trotz der andalusischen Hitze. Um den Hals hing ihr ein großer violetter

Weitere Kostenlose Bücher