Malefizkrott
Kopf, also geworfen worden? Aber von einem Werfer gab es nicht mal einen Schatten.
Ich holte mir einen Kaffee und atmete tief durch. Weiter im Text. »Richard …« Nein, löschen und neu: »Dr. Weber erzählt, dass er das fragliche Buch nicht habe verbrennen wollen, weil er sich mit dem Protagonisten des Romans …« Verdammt! Wie nun? »… angefreundet hatte.« So ein Quatsch! Er war der Romangestalt begeg net, die sein inneres Gerüst geschaffen hatte. Das aber ging wirklich niemanden was an.
Vielleicht sollte ich erst mal was essen. Kopfarbeiter brauchten Kohlehydrate. Ich wollte gerade aufstehen, da öffnete sich ein Kästchen auf meinem Bildschirm. Facebook war da rigoros. Lola Schrader wollte mit mir chatten.
»Hi! Schläfst du schon?«
Ich klickte auf Antwort. »Schnarch, schnurchel!«
»Kann nicht schlafen.«
»Schlaf, Kindlein, schlaf, dein Vater ist ein Schaf …«
»i hate U«
Mein Herz begann zu klopfen. Verstand ich sie richtig?
»i 2 « Mann, Kind, ich bin zwanzig Jahre älter als du!
Ich ging schleunigst offline, holte mir den zweiten Kaffee, warf einen Blick auf das Ladebalken-Elend und meine Dokumentation, streckte mich auf dem neuen Sofa aus, süffelte Kaffee, starrte an die frisch gestrichene De cke und schwelgte.
Lola hatte alles, was ich nie haben würde: ein musisches Elternhaus mit weißer Ledergarnitur, Bildung, einen Vater, der sich für sie interessierte, Selbstsicherheit, Eloquenz und einen Bekanntenkreis, der auf roten Teppichen verkehrte. Sie hatte eine herausragende Begabung und große Aussichten. Mit vierzehn – einem Alter, in dem ich den Reiz der Vollbusigkeit der Madonna auf der Kommode im Kinderzimmer entdeckte – hatte sie ein Drehbuch verfasst, das verfilmt wurde und einen Preis bekam.
Dafür aber zahlte sie selbst auch einen Preis. Das konnte nicht anders sein. Viel auf der einen Seite der Waagschale, wenig auf der anderen. Was interessierte sie an mir? Dass ich nicht nur daran dachte, auf einer Autobahn zu wenden, sondern dass ich es tat? Und ihr den ultimativen Kick verschaffte. Aber ausgesucht hatte ich mir mein Grenzgängernaturell nicht. Es waren alles bloß Anfälle eines Menschen ohne Identität, um sich zu beweisen, dass er noch lebte.
Lola lebte schreibend. Sie hatte sich ihre Wohlstandssterilität auch nicht ausgesucht.
Wahrscheinlich war sie mal auf Studienfahrt in Barcelona gewesen und hatte an einem botellón teilgenommen, dem großen postmitternächtlichen Flaschenkreisen auf dem Plaza Mayor. Sie hatte die Knie zusammengepresst und die Jacke vor die Brust gezogen, sich vor den abgelutschten Flaschenhälsen geekelt und später ins Parkgebüsch gereihert.
Das alles hatte ihr mehr Angst als Vergnügen gemacht. Mächtig drohte der Vater in ihr: »Du kennst die Konsequenzen, Lola! Ich glaube nicht, dass du dich im Knast wohlfühlen wirst.« Auf dem kurzen Weg ins Aus findet das Leben statt, aber Lola traute sich nicht mitzumachen. Sie sammelte alles im Kopf, was sie nicht machte, weil es ihr schaden könnte. Die Scham über die eigene Feigheit trieb sie an einen Computer, wo sie sich ihre Angst von der Seele und das Kaputte in die Seele schrieb. So ist sie wenigstens dabei, irgendwie. Zornig und zugleich abgeklärt, urteilend, arrangierend, kontrollierend.
Genau, dachte ich, eigentlich geht es immer nur um das eine: die Kontrolle über das eigene Leben. Deshalb hatte ich einen schwarzen Gürtel im Judo und trainierte Escrima, den philippinischen Stockkampf. Deshalb begnügte sich Lola nicht mit der dichterischen Darstellung von altersgemäßen Wodkapartys und Poppen am Strand, sondern jonglierte mit Bondage in einer Freiburger Hausbesetzerkommune und profunden Kenntnissen über das beste Gleitmittel für die Faust im Anus.
Wenn sie aber doch einen Bruchteil der Erfahrung hat te, die sie beschrieb, dann … hm. Das Wasser lief in meiner Muschi zusammen.
Und die Wärme des Kaffees
schwemmte mich
allmählich in
den
Schlaf.
Das Telefon schrillte. Festnetz! Mama!
Ich torkelte hoch, dabei fiel der Kaffeebecher halb gefüllt von mir und entleerte sich auf das neue Sofa. Vorsicht, Lisa, nicht bürgerlich werden! Das Festnetztelefon flutschte mir aus den Fingern und schoss über die Dielen unter den Fernsehtisch, was Cipión, der dort ratzte, zu einem Notstart veranlasste.
Ich ging auf die Knie und fischte den Apparat unter dem Fernsehtisch hervor. »Ja?«
Es keuchte. »Lisa!« Keuch, keuch, röchel. Eindeutig, da starb gerade
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