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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Datum der Lesung bei Ursprung gewesen? Ich schaute nach. So was merkte man sich einfach nicht, auch wenn man eine Wei le glaubt, man werde diese Tage oder Abende oder Nächte nie vergessen. Genau deshalb musste man es aufschrei ben. So genau wie möglich. Jede noch so unbedeutend erscheinende Kleinigkeit konnte später wichtig werden.
    Gehörten die Geschichten des mit Kommunardentex ten verschnittenen Buchs, die Richard in Ursprungs La den, und die seiner Beziehung zu Marie Küfer, die er mir da nach vor dem Laden erzählte hatte, auch dazu?
    Ich stöhnte innerlich. So viel Tipperei! »Richard erzählt, dass er das fragliche Buch nicht habe verbrennen wollen, weil er sich mit dem Protagonisten des Romans …«
    Es ging doch eigentlich niemanden was an, dass Richard sich in seiner verzwickten Jugend mit einem gewissen Thalheim identifiziert hatte, um in sich selbst für alle Zukunft das Bild des verkannten Edelmanns zu erschaffen.
    Mein Mailprogramm meldete, dass Lola Schrader auf Facebook mit mir befreundet sein wollte. Ich bestätigte die Freundschaftsanfrage und sah mich ein bisschen un ter ihren Freundinnen um, inzwischen 193 an der Zahl, die Hälfte davon Schülerinnen des Fanny-Leicht-Gymnasiums, ein Onkel auf der Alb, ein paar Schauspielerinnen und Schauspieler, die Lola vermutlich über ihre Mutter kannte, keine Freunde in Freiburg oder Barcelona, aber ein Student des Figurentheaters an der Musikhochschule Stuttgart. Hmhm … Er sah nett aus, mit den Augen einer Siebzehnjährigen betrachtet: Lederband um den Hals, irgendeine Bärenkralle daran, unrasiertes Lächeln. Er hieß Adrian Weinrich.
    Gut, ja, aber das war jetzt nicht wichtig. Es half nicht bei der Entscheidung, ob ich Richards Romanze mit Thalheim und Marie Küfer ausführen musste. Wenn es nach meiner gähnenden Unlust ging, dann nicht. Aber ging es danach? Das Lustprinzip war als Kriterium meines Handelns nicht immer hilfreich. Andererseits hing mir das neuronale Netz schon durch, wenn ich nur daran dachte, all diese Verwicklungen aufzudröseln und in Buchstaben und Worten hintereinanderzusetzen. Dabei musste es nicht einmal elegant formuliert sein, es musste einfach nur dastehen, der Reihe nach.
    Das Lineare ist nicht mein Ding.
    Diese Erkenntnis fiel mir immerhin zu. Mein Denken ging anders. Schon in meiner Zeit als Polizeireporterin für den Stuttgarter Anzeiger war ich gescheitert, wenn ich einen einfachen Unfall beschreiben sollte. Ein Unfall ist nie einfach. Er ist das Ergebnis eines Zusammentreffens von gleichzeitigen Ereignissen und deren Gründen. »Zu der schweren Verletzung kam es, weil der Fahrradfahrer geradeaus fuhr, während der Lenker des Pkws rechts abbog und dabei den Fahrradfahrer übersah, weil ihm die Zigarette in den Fußraum gefallen war, wobei er unwillkürlich bremste und deshalb den Fahrradfahrer nicht mit der Flanke abdrängte und zu Fall brachte, sondern auf den Kühler nahm, wobei der Fahrradfahrer mit dem Kopf auf die Windschutzscheibe schlug.« Was mir der abnehmende Redakteur regelmäßig mit dem Vermerk »Hä?« zurückgab.
    Ich dachte irgendwie flächig, netzwerkartig. Das war eine Aussage, die ich also über mich machen konnte. Aber wozu?
    Schreiben ist scheiße!
    Ich zog eine Zigarette zu Rate.
    Inzwischen waren die Daten der Kugelschreiberkame ra aus meiner Brusttasche auf den kleinen Spionageklappcomputer überspielt. Ich zog die Speicherkarte raus, schob die der Uhrkamera in den Schlitz und startete die Übertragung neu. Wegen der Datenmengen machten die Kameras nur 10 Bilder pro Sekunde. Aber auch das war schon gigaviel. Ich würde mir die Augen wund schauen, das war klar. Vor allem auf die Kamera, die die Bewegungen in meinem Rücken aufgezeichnet hatte, war ich gespannt. Während der Ladebalken in Zeitlupe wuchs, rief ich den Kugelschreiberfilm schon mal auf und suchte den Moment, wo die Taube gegen die Schaufensterscheibe geflogen war. Ich hatte hinterm Tisch von Thalestris gesessen und Tür und Schaufenster im Auge gehabt. Die aber waren drei Meter entfernt, und zwei Megapixel waren nicht sonderlich ergiebig. Außerdem spiegelte die Fensterscheibe die Beleuchtung im Laden, obgleich es draußen noch relativ hell gewesen war. Da! Etwas Graues tauchte auf und war schon wieder verschwunden. Es war alles ziemlich ruckelig und wuschig, aber der Körper der Taube war erkennbar. Ich hielt das Bild an. Hm! Sah das nicht aus, als sei die Taube mit dem Rücken gegen die Schaufensterscheibe geflogen, nicht mit dem

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