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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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von hinten in den Kopf geschossen und der Täter nicht freigesprochen worden.«
    »Aber ihr hattet doch gesehen, wie es gewesen war, du und Marie.«
    Richard seufzte. »Ich hatte es nicht gesehen, genau genommen. Aber Marie und viele andere. Doch als Ben no Ohnesorg endlich im Krankenwagen abtransportiert wur de, war der Schütze längst von seinen eigenen Leuten vom Platz geschafft worden. Sie drängten auch uns aus dem Hinterhof. Einige von uns nahmen sie fest, darunter Marie und mich. Vermutlich weil wir so aussahen, als seien wir leicht einzuschüchtern, Marie in ihrem Kostüm, ich ihr Beschützer zwischen Kavalier und Memme. Die hal be Nacht verbrachten wir auf einem Polizeirevier. Man nahm unsere Personalien auf. Polizei macht Angst, das weiß ich seitdem. Die haben einen Ton drauf, dass man sich schon in Handschellen abgeführt und im Gefängnis verfaulen sieht. Mein Grundvertrauen in Recht und Ordnung wurde in dieser Nacht zerschlagen. Wir hatten nichts getan, wir waren Zeugen eines Mordes geworden, der Schock saß uns in den Gliedern, dennoch behandelte man uns wie Delinquenten. Nachts um eins hatte die Angst uns aufgefressen. Ich hakte mein Studium ab. Man würde mich relegieren. Mein Vater würde mich auf im mer und ewig verachten, niemals als Sohn zurücknehmen. Gut, dachte ich, dann gehe ich nach Berlin, baue Bomben und zünde Kaufhäuser an. Wenn die Polizei mit Vorsatz auf wehrlose Menschen schießt, dann ist das nicht der Staat, in dem ich für Gerechtigkeit sorgen kann.«
    »Du bist in deinem Herzen ein Hasardeur, Richard.«
    Er deutete ein Lächeln an. »Marie fiel der Abschied von ihrer Zukunft weniger leicht. Sie weinte. Ein älterer Polizeibeamter ging mit ihr in ein Nebenzimmer. Danach durften wir das Revier verlassen. Noch am selben Vormittag bestiegen wir das Flugzeug. Marie hat mir nicht erzählt, was zwischen dem Polizisten und ihr besprochen worden war. Wir redeten viel während der Wartezeiten auf dem Flughafen und im Flugzeug, sie erzählte von ihrem Vater. ›Dein abstraktes Denkvermögen wird nie an das deines Bruders heranreichend, hatte er ihr bescheinigt und ihr damit eine tiefe Kränkung zugefügt. Es waren vertrauensvolle Gespräche, die wir führten, und so wagte ich es, das Buch hervorzuholen. Aber …«
    » Das Buch?«
    »Ich hatte es extra mitgenommen, falls sich Gelegen heit ergäbe, mit ihr darüber zu reden. Es hatte in der In nentasche meines Anoraks gesteckt. Wie ich es nun herausholte, sah ich, dass es auf der Rückseite ein Loch hatte. Und darin steckte ein Projektil!«
    »Ohaaaa! Wie das?«
    »Es war eine warme Nacht gewesen, das sagte ich schon. Marie und ich waren zügig gelaufen, wir waren erhitzt, ich hatte meinen Anorak ausgezogen und mir über den Rücken gehängt, so … mit dem Finger im Aufhänger. Und in der Innentasche befand sich nun eben das Buch.«
    Ich stöhnte unartikuliert.
    »Es hat mir … nun ja, vielleicht nicht das Leben gerettet, mich aber vor einer schweren Verletzung bewahrt. Der Hansel hatte mir tatsächlich in den Rücken geschossen. Doch das Projektil blieb im Buch stecken. Der Stoß hatte mich auf Marie geworfen.«
    »Unglaublich!« Ich lachte haltlos. »Und dieKugel? Was hast du mit ihr gemacht?«
    »Als ich im Flugzeug Marie das Buch zeigte, steckte das Projektil noch hinten drin, vielleicht einen Dreiviertelzentimeter tief. Es lockerte sich, als ich das Buch aufschlug, und fiel heraus, mir in den Schoß. Und ich weiß tatsächlich nicht, was wir mit dem Projektil gemacht haben. Vielleicht habe ich es in die Tasche gesteckt, oder Marie hatte es in der Hand gehabt und in den Aschenbecher in der Lehne des Sitzes gelegt. Daheim in Tübingen habe ich es in meinen Sachen nicht mehr gefunden. Ma rie und ich waren zunächst völlig geplättet. Uns ging auf, wie knapp wir davongekommen waren. Wir rekonstruierten die Ereignisse, ich erinnerte mich an die Worte des Schützen, die ich gehört hatte, als er mich in der Menge der Demonstranten anschaute, nein, nicht gehört, sondern nur gesehen, die ich von seinen Lippen abgelesen oder mir vielleicht auch nur eingebildet hatte. Wir steigerten uns in die Überzeugung hinein, dass er den Vorsatz gehabt habe, jemanden zu töten, und dass wir es beweisen könnten.«
    »Und dass du nebenbei Marie … vielleicht nicht das Leben gerettet, sie aber wohl vor einer schlimmen Verletzung bewahrt hast«
    »Ich glaube nicht, dass ihr das in diesem Moment klar wurde. Denn wir gerieten gleich darauf in

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