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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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studierte auf Lehramt, eigentlich aber wollte sie Journalistin werden, was ihrem Vater nicht gefiel. Nach einem Streit mit ihrem Vater war sie ausgezogen. Man habe inzwischen aber Waffenstillstand geschlossen. Nur dürften ihre Eltern nicht erfahren, dass sie vorhabe, zur Anti-Schah-Demonstration nach Berlin zu fliegen. Leider sei die Freundin, die sie habe begleiten wollen, wegen familiärer Angelegenheiten verhindert.«
    Richard zog an der Zigarette und schaute mich prüfend aus schmalen Augen an.
    »Kurz: Ein Flugticket war übrig und ich war auserwählt, mit ihr ins wilde Westberlin zu fliegen. Ich, der Fabrikantenspross aus Balingen, der Jura studierte, um ein gerechter Richter zu werden und das Gewaltmonopol des Staates zu verteidigen. Was tut man nicht alles für die freundliche Anerkennung in den Augen einer Frau, die man anbetet, geblendet von der Illusion, sich ihre Gunst verdienen zu können. Es … war alles nur ein Spiel, ein böses Spiel.«
    »Die erste Liebe ist immer ein böses Spiel.«
    »Was du nicht sagst. Immerhin konnte ich mit klarem Verstand und christlichen Werten durchaus die Ansicht vertreten, dass sich die sogenannte Leberwursttaktik des Berliner Polizeipräsidenten nicht mit dem ersten Artikel unseres Grundgesetzes vereinbaren lässt. ›Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie am Ende auseinanderplatzt.‹«
    »Igitt!«
    »Ja, heute müsste der Polizeipräsident zurücktreten, von dem eine solche Äußerung öffentlich bekannt würde. Dass die Polizei unterm Beifall der bürgerlichen Presse die Jugend mit Wasserwerfern auseinandertreibt, ist heu te kaum noch vorstellbar. Damals verschwiegen sogar gro ße Zeitungen tagelang den Tod von Benno Ohnesorg.«
    Ich gab ein kommunikatives Geräusch von mir.
    »Ulrike Meinhof kommentierte das Ereignis hinterher so: ›Als der Schah von Persien in die Bundesrepublik kam, wussten wir erst wenig über den Iran, wenig über unser eigenes Land. Aber als die Studenten auf die Stra ße gingen, um die Wahrheit über Persien bekannt zu machen, da kam auch die Wahrheit heraus über den Staat, in dem wir selbst leben.‹ {12} Und diese Wahrheit, Lisa, die hat mich nicht nur erschüttert, sondern regelrecht durchgeschüttelt. Eine solche Willkür, eine solche Selbstherrlichkeit der Polizei, diese menschenverachtende Brutalität … Ich glaube, mein Entschluss, Staatsanwalt zu werden, rührt daher, auch wenn es mir damals nicht bewusst wurde. Es war mein Marsch durch die Instanzen. Das klingt jetzt vielleicht hochtrabend, aber damals habe ich zum ersten Mal geahnt, wie mächtig ein Klima von Hass ist, und dass es innerhalb jeder Behörde und Organisation Leute geben muss, die sich nicht anstecken lassen, deren einziger Leitstern der Buchstabe des Gesetzes ist.
    Jedenfalls, am Vormittag jenes 2. Juni 1967 hatten erst die Jubelperser – die Leute, die der Schah bestellt hatte, um ihn zu feiern – auf uns Demonstrierende eingeschlagen, und als die Polizei anrückte, glaubten wir, sie werde uns zu Hilfe eilen, aber sie fiel auch über uns her. Marie und ich hatten uns rechtzeitig zurückziehen können. Am Abend sollte der Schah in der Deutschen Oper Mozarts Zauberflöte lauschen. Marie und ich zogen dorthin, weniger weil wir vorhatten, dort an einer Demonstration teilzunehmen, sondern eher aus Neugierde, aus Ratlosigkeit, aus Zorn darüber, wie man uns am Morgen behandelt hatte.
    Es war ein warmer Abend, nicht ganz so warm wie heute. Ich erinnere mich an die Damen in Abendkleidern, die am Arm von Herren in Abendanzügen der Oper zustrebten, mir ist das Klacken der Absätze von Stöckelschuhen, das Knirschen von Ledersohlen im Ohr, das leise Knistern des Reichtums, obwohl ich es bei dem Lärm in unseren Reihen kaum gehört haben dürfte. Ich erinnere mich an unser Geschrei, die erhobenen Fäuste, an den Hass der Geprügelten, der auch in mir war, an das berauschende Gefühl, mit meiner priva ten Erfahrung der Verachtung unter Gleichen aufgehoben zu sein.
    Die Demonstration war nicht genehmigt. Die Polizei marschierte auf, von unserer Seite flogen Farbbeutel. Neben mir stand ein Mann im Straßenanzug. Er schaute in die falsche Richtung, er schaute uns Demonstranten in die Gesichter. Ich wusste sofort: Er war ein Spitzel der Polizei. Die Aufgabe der Polizeibeamten in Zivil konnte nur sein, sich die sogenannten Rädelsführer zu merken und sie den Kollegen in Uniform zu zeigen, sobald man die Leberwurst zum

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