Malefizkrott
was diese Pläne vereitelt hätte. Vielleicht gehörte ihm das halbe Gerberviertel und er wollte nicht verkaufen. Er soll Vermögen gehabt haben. Er hat doch auch immer nur Bücher gekauft und eher selten welche verkauft, hört man. Meinst du nicht, du könntest das mal klären?«
»Täuscht mein Eindruck, oder versucht du gerade, mir einen Auftrag zu geben.«
»Das würde ich nie wagen, Richard.«
»Dann ist ja gut. Weswegen ich anrufe. Meisner ist vorhin fluchend an mir vorbei durch die Gänge gerannt. Sie musste raus zu einem Leichenfundort, hatte aber noch gerade so viel Zeit, um mir mit hochrotem Kopf zu sagen: ›Richten Sie Ihrer Freundin Nerz einen schönen Gruß aus, ich wünsche sie dahin, wo der Pfeffer wächst. Wenn das die Presse spitzkriegt, dann rede ich nie wieder ein Wort mit ihr.‹ Ungefähr so war der Wortlaut.«
Ohne Zweifel war es der exakte Wortlaut.
»Was ist denn los?«
»Am Max-Eyth-See liegt eine Leiche. Anhänger der Freikörperkultur haben sie vor einer Stunde im Gebüsch gefunden, an dem sie sich üblicherweise sonnen. Ich bin ja nicht so auf dem Laufenden in dieser Sache, aber wie ich Kollegin Meisner verstanden habe, handelt sich um die sterblichen Überreste eines Angestellten aus dem Waffengeschäft in der Königstraße, der in deinem Bericht erwähnt wird. Er wurde wohl erschossen.«
Mir rieselte es kalt in die Adern. »Scheiße!«
»Ungefähr so hat sich Frau Meisner auch ausgedrückt. Sie scheint zu befürchten, dass die Presse herausfinden könnte, dass die Polizei den Tod dieses Mannes hätte verhindern können oder müssen, wenn sie deinen Bericht ernst genommen hätte.«
»Zu viel Ehre!«
Ich hatte ja nur gemutmaßt, dass der Schütze in den Schießladen gestolpert sei und sich hinter die Theke geworfen habe. Vielleicht war der Verkäufer auch nur so schreckstarr gewesen, weil ich hereingeplatzt war wie ein Überfallkommando. Im Zusammenhang mit Waffen bedeutete Schnelligkeit höchste Gefahr. Womöglich war ich selbst nur knapp einer putativen Notwehrhandlung vonseiten des Angestellten entgangen. Warum war er nicht zur Polizei gegangen und hatte eine Aussage gemacht? Zeugenaufrufe hatte es genügend gegeben, und man las Zeitung oder hörte Radio, wenn man hautnah miterlebt hatte, dass im Geschäft gegenüber ein Mann erschossen wurde.
Das überlegte ich auf der Fahrt nach Stuttgart-Münster hinaus. Die Müllverbrennungsanlage türmte ihre blau, grün und rosafarben verkleideten Rauchgasentschwefelungsanlagen in den blauen Himmel. Die Weinberge des Cannstatter Zuckerle erhoben sich auf der anderen Seite des Neckars. Auf der zweispurigen, fast geraden Strecke diesseits am Fluss entlang pflegten sich seit einigen Monaten die Fahranfänger zu Tode zu rasen. Am Ende des Häuslesbesitzerparadieses Münster schwenkte die Straße über den Neckar. Gleich dahinter stand ein Polizeiauto.
Ich fuhr ein Stück weiter, parkte, klemmte mir Cipión untern Arm und schlug mich durchs Gebüsch zum Weg durch, der um den See herumführte. Dort setzte ich Cipi ón auf seine Stummelbeine. Er warf sich sofort ins Halsband, um den Enten zuzustreben, die im Gras lagen und dösten. Sie waren so abgebrüht, dass ein Hund an der Leine sie nicht beunruhigte.
Der Max-Eyth-See ist eigentlich viel zu klein für das, was er leisten muss. Er ist Segelschule für Anfänger, Ba dewanne und Klo für Enten und Schwäne und eine Gruppe Wildgänse, die nicht mehr ziehen, und Naherholungsgebiet. Am Wochenende werden seine Wiesen überrannt von Familien aus dem nicht europäischen Ausland, der Rauch Hunderter Grillstellen zieht in Schwaden über ihn hin. Auf den Wegen stauen sich Spaziergänger, Kinderwagen, Radfahrer auf Renngeräten oder im Familienverband. Aber auch unter der Woche ziehen unentwegt Spaziergänger mit Hunden ihre Runden, Läufer kreiseln um den See, nachmittags kommen die älteren Damen mit ihren Doppelstöcken, und wenn im Frühjahr die erste Sonne brutzelt, ziehen sich tief in der Wiese am Gebüsch ein halbes Dutzend Männer splitternackt aus und beginnen mit ihrer alljährlichen Selbstbräunungsarbeit. Anfang Juli hat ihre Haut bereits Kackfarbe.
Nebenbei kränkelt der See. Von Entenkot überdüngt – die einsamen alten Witwen können halt einfach das Entenfüttern nicht lassen – beginnt er zu stinken. Ihm fehlt ein Frischwasserzufluss, obgleich es Verbindungskanäle zum Neckar gibt. Aber der Fluss ist einfach zu schwäbisch. Er gibt nix ab. Glücklicherweise hat es sich jetzt der
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