Malefizkrott
hatte aber kaum genug Zeit, rich tig hinzugucken. Schon hielt sie es sich wieder unter die Lupe.
»Und dieser violette Schimmer?«, fragte ich.
»Das ist vom Farbband. Alte Schreibmaschinen hatten Stoffbänder, die mit Tinte getränkt waren. Die Type schlug auf das Band und drückte die Farbe aufs Papier. Hier sehen Sie sogar einen Schatten des Gewebes. Die Typen hätten mal wieder sauber gemacht gehört. Schauen Sie mich nicht so an! Ja, so war das früher. In den kleinen Löchern vom a oder vom o hat sich immer Dreck gesammelt, und man hat ihn mit einer Stecknadel rausgestochert. Dann kamen die Karbonbänder und die Typenradmaschinen. Karbonbänder konnte man nur einmal verwenden … gut für Krimis, denn auf dem weggeworfenen Karbonband konnte man wunderbar lesen, was getippt worden war. Bei den alten Farbbändern ging das nicht. Die hat man mehrmals hin- und herlaufen lassen können. War natürlich viel billiger. Wenn man das bedenkt: So eine Schreibmaschine, die hat der Großvater mal angeschafft – sicher auch für viel Geld –, und dann hat der Sohn sie noch verwendet. Heute kauft man sich alle drei Jahre einen neuen Computer für ein Mehrfaches an Geld.«
»Dafür kann man auf einem Computer so oft korrigie ren, wie man will, und Absätze umstellen, genau auf Zeile schreiben und so weiter.«
Manu lachte. »Ob das so eine Verbesserung ist? Thomas Mann hat noch mit der Hand geschrieben, und keine einfachen Sätze. Und so einer wie Karl May, dessen Manuskripte sollten Sie mal sehen, fast nichts korrigiert. Er hat sich hingesetzt und ein Buch von der ersten bis zur letzten Zeile durchgeschrieben. Nichts durchgestrichen, nichts reingeflickt, keine Absätze umgestellt, nichts gelöscht, ganz linear. Ich glaube schon, der Computer hat die Arbeit des Schriftstellers radikal verändert. Vermutlich merkt man es den Texten auch an. Ich kann nur nicht sagen, wie.«
Mal Lola fragen, dachte ich.
»Und dann natürlich das Internet. Die fabulieren nicht mehr, sage ich immer, die recherchieren nur noch.«
»Und kopieren.«
»Ach, abgeschrieben haben die Alten auch, und nicht zu knapp. Karl May hat seitenweise Reiseberichte in sei ne Romane übertragen, wortwörtlich. Bert Brecht hat hemmungslos Lieder anderer Autoren für seine Zwecke umgeschrieben. Und wenn Sie sich die Bibliothek von Thomas Mann in Zürich anschauen, da sehen Sie, was er alles benutzt hat. Das ist der Unterschied zu heute. Wissen hat man immer irgendwoher, aber bei den Alten sieht man, woher, wenn man sich ihre Bibliotheken anschaut. Früher brauchten Schriftsteller große Bibliotheken, Nachschlagewerke, Fachbücher, heute brauchen sie einen DSL-Anschluss. Und niemand wird später nachvollziehen können, wo sie ihr Wissen herhaben. Und so manches Buch wäre ohne Internet nicht denkbar. Vor allem nicht in der kurzen Zeit, in der es entstanden ist. Früher musste man sich tagelang in öffentlichen Bibliotheken aufhalten, ausleihen, lesen. Und die Verknüpfungen zu anderen Fachgebieten waren nur schwer zu finden. Ich habe mal ein französisches Buch übersetzt, da kam ein zu seiner Zeit berühmter Künstler vor, der ein Tänzer, ein Sportler oder ein Schauspieler hätte sein können. In meinem Konversationslexikon stand er nicht. Wenn ich das in der Bibliothek hätte herausfinden wollen, hätte ich historische Bücher aus allen drei Gebieten bestellen und durchforsten müssen. Aber so habe ich in Google bloß den Namen eingegeben.«
»Das klingt nicht nach Kulturkatastrophe.«
»Aber manchmal frage ich mich schon, was hinter der Gelehrtheit so manches Autors steckt. In Amerika werden gezielt für den deutschen Markt faktenreiche und gelehrte Bücher über sozio-kulturelle Themen in süffiger Sprache geschrieben, die dann ›Die Sicherheitsgesellschaft‹ oder ›Panik vor dem Zufall‹ oder ›Wissen macht dumm‹ oder so ähnlich heißen. Offenbar lesen wir Deutschen so was gern. Fachübergreifendes Wissen, einfache These. Und ist Ihnen schon aufgefallen, wie viele Romanciers, die ja meistens ein geisteswissenschaftliches Studium hinter sich haben, heutzutage mit Quantenphysik jonglieren? Die Relativitätstheorie können Sie sich in wenigen Minuten aus dem Internet holen, ohne auch nur ein einziges Physikbuch aufzuschlagen.«
»Hm, ja.«
Manu lachte. »Das löst bei Ihnen nicht mal ein müdes Arschrunzeln aus, wie sich sehe. Vielleicht haben Sie recht. Computer sind besser als keine Computer. Also zurück zu diesem Buch.«
Sie kniff die Augen
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