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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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zusammen. »Du meine Güte. ›Die Klassenkämpfe entfalten. Das Proletariat organisieren. Mit dem bewaffneten Widerstand beginnen! Genossen, es hat keinen Zweck, den falschen Leuten das Richtige erklären zu wollen … . Den kinderreichen Familien, den Jungarbeitern und Lehrlingen, den Hauptschülern, den Familien in den Sanierungsgebieten, den Arbeiterinnen von Siemens und AEG-Telefunken, von SEL und Osram, den verheirateten Arbeiterinnen, die zu Haushalt und Kindern auch noch den Akkord schaffen müssen – verdammt, denen habt ihr die Aktion zu vermitteln, denen habt ihr zu sagen, daß jetzt Schluß ist, daß es jetzt losgeht, daß ein Ende der Bullenherrschaft abzusehen ist. Denen habt ihr zu sagen, daß wir eine Armee aufbauen. Was die Schweine mit Zensuren, Entlassungen, Kündigungen, mit Kuckuck und Schlagstock schaffen, schaffen sie damit. Klar, daß sie zur Dienstpistole greifen, zu Tränengas, Handgranaten und MPs, klar, daß sie die Mittel eskalieren, wenn sie anders nicht weiterkommen. Na und? Klar, daß der Strafvollzug für Politische verschärft wird. Macht das klar, daß die Revolution kein Osterspaziergang sein wird.‹ Das …« Manu schaute mich an. »Das ist aber kein Kommunardentext.«
    »Nein?«
    »Nein, das klingt wie ein erstes Konzept für den Gründungstext der RAF, wie er, ich glaube, 1970 in Agit 833 erschien, einer linksextremen Zeitung, deren Herausgeber danach untertauchen musste.«
    »Oha!« Das hatte Richard mir nicht gesagt. Und er hatte sich darauf verlassen können, dass ich es nicht alleine herausfand. Das Aas!
    Manu hielt das Buch von sich weg und kniff die Augen zusammen. »Und ist Ihnen das aufgefallen? Schauen Sie mal. Sehen Sie das?«
    »Mir ist nur aufgefallen, dass manche Buchstaben etwas fetter aussehen als die andern.«
    »Genau!« Manuela Kantor schaute mich vergnügt an. »Sie sind doppelt getippt, also zweimal auf derselben Stelle, was bei einer mechanischen Schreibmaschine immer zu leichten Verschiebungen führt. Und wissen Sie, wozu man Bücher immer schon benutzt hat? Als Übermittler geheimer Botschaften. Und jetzt meine ich nicht den Text selbst. Überall, wo so viele Buchstaben auf einen Haufen stehen, kann man sich einzelne herauspicken, die bestimmte Wörter bilden. Die einfachste Methode ist: Sie machen mit dem Empfänger eine bestimmte Buchausgabe aus und beginnen mit der ersten Zeile und dem ersten Wort des ersten Kapitels so lange Wörter und Zeilen abzuzählen, bis sie auf das Wort stoßen, das Sie brauchen. Dann zählen Sie weiter und suchen das dritte, dann das vierte und immer so weiter. Diese Zahlen schi cken Sie an den Empfänger, der sich dieselbe Ausgabe nimmt und nun seinerseits zählt. Mit meiner Freundin habe ich als Jugendliche Dutzende von Varianten ausprobiert. So konnten wir uns geheime Nachrichten schicken. Wir haben beispielsweise ein Pauspapier genommen. Aber das kennen Sie doch noch! Haben Sie nie mal was durchgepaust, indem sie ein sehr dünnes Papier auf ein Bild gelegt haben? Sehen Sie. So ein Papier haben wir auf eine Buchseite gelegt und dann einen Punkt an der Stelle gemacht, wo der Buchstabe durchschien, den wir für unseren Text brauchten. Das Blatt bekam dann die Freundin und legte es auf die vorher ausgemachte Seite unseres gemeinsamen Buchs. Es war übrigens Die rote Zora. Das war bequemer als die Zählerei und man konnte lange Briefe auf diese Weise verfassen. Und wissen Sie, das hier erinnert mich vom Muster her an unsere Punktebriefe.«
    Manu holte ein Blatt Papier aus dem Laden und wir fingen an, alle mit der alten Erika aus Küfers ehemaliger Buchbinderei doppelt angeschlagenen Buchstaben herauszuschreiben.
    Die Wörter gliederten sich wie von selbst, weil wir die meisten Namen kannten. Da bildeten sich vor unseren Augen: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Mahler, Wolfgang Sehrader, Ulrike Meinhof, Brigitte Asdonk, Irene Goergens und noch ein halbes Dutzend weitere.
    »Und was bedeutet das?«
    »Das sind die Gründungsmitglieder der RAF«, antwortete Manu. »Wann, sagen Sie, wurde dieses Buch gebunden?«
    »Anfang 1967.«
    »Oh! Das heißt, dass hier jemand drei Jahre vor der offiziellen Gründung der RAF das Manifest konzipiert hat. Das ist ja irre! Marie, eine geistige Brandstifterin, wie man das damals formuliert hat. Was für ein Dokument!«
    Ich zündete mir eine Zigarette an. »Und dann legt sie es bei Durs Ursprung aus? Wozu?«
    »Vielleicht, weil …« Manu klaute sich mit der Bemerkung, sie habe eigentlich vor

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