Malefizkrott
Männern, die bei Lolas Lesung in Ludwigsburg dabei gewesen waren. Aber keiner wollte ihnen bekannt vorkommen. Erst als ich ihnen die Bilder noch einmal in brillanter Farbe auf meinem Minilaptop vorführte, meinte die Frau: »War da nicht vor Weihnachten ein Rothaariger da? Bert, erinnerst du dich nicht?« Und an mich gewandt: »Ich habe einen Blick für echte Rotschöpfe. Die sind nämlich sehr selten. Nur etwa zwei Prozent der Weltbevölkerung haben naturrote Haare.« Sie ließ offen, ob sie dazugehörte oder nicht. »Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass in Kinderbüchern die Rotzlöffel oder die rebellischen Protagonistinnen rothaarig sind? Die Rothaarigen machen die Dinge, die ein gut erzogenes Kind nicht tut, gell. Und oft sind die undurchschaubaren Frauen rothaarig. Und bei den Männern sind die Rothaarigen mit den roten Wimpern die Serienkiller, die Bösewichte. Hu!«
Sie konnte sich nicht mehr erinnern, ob sie sich diese Gedanken beim Anblick eines rothaarigen Kunden just an dem Tag des Feuers gemacht hatte. Sie glaube aber nicht. »Das hätte ich mir gemerkt. So was merkt man sich doch. Ich habe mal gelesen, dass die meisten genau wissen, wo sie waren und was sie gemacht haben bei erschütternden Ereignissen, beispielsweise wo sie waren, als sie erfahren haben, dass Lady Di tot ist.«
Gott, wo war ich da gewesen? Hatte ich da überhaupt schon als Lisa Nerz existiert?
Die diensthabenden Bibliothekarinnen der Stadtbücherei in Kirchheim unter Teck gleich beim Max-Eyth-Geburtshaus waren sehr vergnügt. In meiner Verbrecherkartei kam ihnen kein Gesicht bekannt vor, auch der Rothaarige nicht.
Der Inhaber der Neuen Buchhandlung in Balingen befand sich, als ich eintrat, in einem Geduldsspiel mit einer jungen Frau. Sie müsse ein Referat schreiben über ein Buch, das der Deutschlehrer ihr genannt habe. Sie wisse aber den Titel nicht mehr, und sie müsse das Referat Ende der Woche abgeben. Warum sie nicht ihren Deutschlehrer noch mal frage? Das gehe nicht, sie hätte eigentlich schon vor drei Wochen anfangen müssen und hatte auch behauptet, sie habe es getan, als er sie fragte, wie weit sie sei. Worum es denn gehe in dem Buch. Um Mathematik und irgendwas mit Pädo … Pädophilie? Ah, dieses hier? Das Mädchen war heillos erschrocken über den Umfang des Buchs. Kleiner Tipp, sagte der Buchhändler, sie solle nicht kopieren, was bei Wikipedia steht, das kriege der Lehrer gleich heraus. Außerdem sei Gauß keineswegs so weltfremd gewesen, wie das Buch glauben mache. Entschlossen, den Rat nicht zu befolgen, zog das Mädchen ab.
Tja, meinte er dann zu mir, ein Buchhändler sei eine eierlegende Wollmilchsau. Er müsse wissen, was derzeit Modethema in den Schulen sei, sich in Literatur auskennen, auch wenn sie nur ein paar Prozent der Bücher ausmache, die neuesten Trends bei der Lebenshilfe kennen und wissen, was den Stammkunden gefalle und was er ihnen besser nicht verkaufe. Darüber hinaus sollte er knallhart wirtschaftlich denken und Spaß am Verhandeln haben. Nur eins solle er nicht haben: Familie. Es sei denn, die Frau – oder der Mann, hähä – schaffe im Laden mit. Denn ein Achtstundenjob sei das nicht. Der Onlineshop wolle nach Ladenschluss gepflegt sein, Computerkenntnisse seien unverzichtbar, denn ohne Buchversand könne man heutzutage nicht überleben. Selbstverständlich immer portofrei. Und die Bestellungen verschickten sich ja nicht von alleine, abends sitze er da und verpacke Bücher, morgens bringe er sie auf die Post.
Ich erklärte ihm mein Anliegen und zeigte ihm meine Bildergalerie. Ein bekanntes Gesicht fand er nicht. Bei ihm sei das Feuer am späteren Abend im Klo ausgebrochen, habe ein paar Verlagsprospekte und eine Zeitung in Brand gesetzt, sei aber zum Glück gleich wieder gelöscht worden, weil das Waschbecken übergelaufen sei.
»Und wieso läuft das Waschbecken über?«, fragte ich.
»Der Wischlappen ist ins Becken gerutscht und auf dem Abfluss liegen geblieben. Das stört sonst nicht, aber offenbar hatte ich außerdem den Hahn nicht ganz zugedreht.«
»Und die Brandursache?«
»Ein übervoller Aschenbecher, einer von den geschlossenen. Ich hatte ihn wohl auf das Schränkchen unters Waschbecken gestellt. Wegen des Rauchs, der aus meinem Klofenster drang, haben Anwohner die Feuerwehr geholt. Von denen erklärte mir einer, es könne vorkommen, dass es durch eine unzureichend gelöschte Kippe über einen längeren Zeitraum im Behälter zu einer Hitzeentwicklung komme, die in
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